Die Droge Polke in Pulverform

Er hat den Kapitalistischen Realismus mitbegründet und die Persiflage in die deutsche Nachkriegskunst geholt: In Baden-Baden zeigen drei Sammler ihre Werke von Sigmar Polke

Von GEORG PATZER

Mattweiß schimmert es von der Wand, viereckig, glatt. Die rechte obere Ecke ist schwarz eingefärbt, und mit einer großen Schreibmaschinenschrift ist im verbliebenen Weiß die Begründung für dieses Bild zu lesen: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ Wahrscheinlich gefiel den höheren Wesen das monochrome Weiß nicht, vielleicht wollten sie ein wenig Abwechslung. Oder es war, wie bei Abraham, nur ein Test, ob der Maler auch folgsam sein würde. Er hat es gemacht. Und ist berühmt geworden.

Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden zeigt jetzt Werke von Sigmar Polke, einem der wichtigsten deutschen Künstler unserer Zeit. Eine Retrospektive soll es sein, von den Anfängen bis heute, zu der sich drei große Sammler zusammengefunden haben: Neben Burda auch Reiner Speck und Josef Fröhlich. Drei unterschiedliche Charaktere, die unterschiedlich sammeln. So interessiert sich Fröhlich für die späteren Werke gar nicht: „Ich kann mit seinen neueren Bildern wenig anfangen. Diese transparenten oder semitransparenten Bilder auf Synthetikstoffen erschließen sich mir so wenig wie die Schüttbilder. Was macht das für einen Sinn, dass ich den Rahmen hinter dem Bild erkenne?“ Burda dagegen schätzt gerade die späten Bilder, „vor allem wegen ihrer Farbigkeit“.

So uneinig sich die Sammler sind, so erfreut werden die Besucher sein. Denn sicher ist, dass ein wegweisender Maler zu sehen ist, einer der fantasievollsten, witzigsten und einer der experimentierfreudigsten. 1941 in Niederschlesien geboren, studierte Polke von 1961 bis 1967 in Düsseldorf, mit Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner, und begründete den „Kapitalistischen Realismus“ als neue Stilrichtung. Immer wieder floss in seine Werke auch die politische Wirklichkeit ein, ironisch gebrochene Sozialkritik, verquickt mit Stilelementen aus der Pop-Art.

In seinen Rasterbildern, ab 1963 sein Markenzeichen, überträgt er Zeitungsfotos auf große Gemäldeformate, mit allen Rasterpunkten. Da stehen die „Freundinnen“ nebeneinander, räkeln sich kokett, schauen spöttisch, blasiert und durch die Rastertechnik doch klischeehaft aus dem Bild. Da merkt man am gerasterten „Don Quichotte“, wie sich ein Bild tatsächlich erst im Betrachter zusammensetzt. Da fühlt man sich kunstkritisch durchschaut, wenn er die „Moderne Kunst“ mit braunem Dreieck, lila Klecks und konstruktivistischen Elemente nur zitiert. Da amüsiert man sich, wenn bei der „Verkündigung“ ein umrisshaft gezeichneter Mann hereinschwebt, der mit Hose und Jacke eher wie ein älterer Harry Potter auf seinem Nimbus 2000 aussieht als der Leonardo-Engel. Und man sieht bei Polke auch immer, wie seine Malerei, die quer über die Jahrhunderte springt, eigene Wirklichkeiten schafft, und sei es noch im ironischen Zitat, in der Persiflage, die bei Polke oft poetisch verdichtet wird, vieldeutig und anspielungsreich inszeniert. Denn nicht immer sind seine Werke so leicht zu deuten wie die Zeichnung, in der aus einem Röhrchen ein gelbliches Pulver rieselt: „Polke als Droge, pulverisierter Polke im Glasröhrchen“.

Die Ausstellung zeigt in den oberen Stockwerken eine Fülle von frühen Zeichnungen, auf denen Polke sich und den Kunstbetrieb derart treffend charakterisiert. Sie zeigt aber auch geheimnisvollere Bilder wie die prall-schwebenden, realistisch gemalten Würste, oder ein Beispiel seiner Rechenkünste („1 + 1 = 3“), die eine Bank einmal nicht kaufte, weil sie ihre Kunden nicht verunsichern wollte. Oder seine sehr schöne Collage „So sitzen Sie richtig“ auf bedrucktem Stoff, wo er die Aquatinta-Radierung „Ya tienen asiento“ von Francisco de Goya mit Max Ernsts „Une semaine de bonté“ überblendet hat, und Ernsts Schlange vor Goyas junger Dame fliehen lässt, die balancierenden Stühle durch die Zimmer fliegen – und das alles auf einem mit kleinen Hündchen bedruckten Stoff gemalt: ein wahrer Wirbelwind an Kunstgeschichte.

Der große Saal unten wird dominiert von den riesigen Bildern, vor allem aus der Spätzeit, die man etwas unglücklich übereinander gehängt hat, so dass sie sich manchmal selbst ein wenig im Weg sind. Hier sieht man auch die Schüttbilder, mit denen Polke experimentiert hat, durchscheinende Kunstharz- und Lackbilder auf einem Polyestergewebe, wie die Farbexplosionen des „Triptychons“, deren zufälliger Farbverlauf fast automatisch vom Betrachter zu einem menschlichen Wesen assoziiert wird. Das sind die Werke, von denen Josef Froehlich sagt: „Mir sagen die Schüttbilder nicht so sehr zu. Es ist zu viel Zufall und zu wenig Komposition darin (…), sie sind weniger intensiv, weniger aussagekräftig. Sie sind aus meiner Sicht auch nicht wegweisend für Polke.“

Aber das mag jeder selbst entscheiden. Das Schöne an Polke ist ja, dass er sich nicht festlegen lässt, dass er häufig einen ironischen Hinweis einbaut. Nicht immer so stark wie in der Punkttapeten, in denen er gleich ein Profil sieht, oder indem er Dürers „Hasen“ aus Nägeln und Gummiband nachbastelt. Oft ist Scherz, Satire, Ironie und damit tiefere Bedeutung nur fein angedeutet.

Es ist eine schöne Ausstellung, die aus allen Zeiten etwas bringt. Aber ein wenig disparat und auch zu ausschnitthaft für eine wirkliche Retrospektive wirkt sie dann doch. Das Museum Frieder Burda ist dafür einfach ein wenig zu klein, vor allem der große Saal unten lässt sich nur sehr schwierig hängen. Eine Kooperation mit der Kunsthalle nebenan, die viel bessere Räume hat, wäre hier hilfreich gewesen. So fehlen etwa die ausdrucksstarken Fotos, die Kurator Götz Adriani vor sechs Jahren im Museum für Neue Kunst in Karlsruhe in einer Ausstellung der Sammlung Froehlich zeigte und die er damals noch als sehr wichtig bezeichnete. Und auch der Katalog wird manchen etwas unbefriedigt lassen: Statt eines Künstlerporträts oder Bildanalysen ist nur ein langes Gespräch abgedruckt, das die drei Sammler miteinander geführt haben. Die Begründung: „Über Polke ist schon alles gesagt.“ Aber es ist dies ja doch nur in anderen Katalogen, und Besucher, die sich noch nicht so intensiv mit diesem erstaunlichen Werk auseinandergesetzt haben, müssen zwangsläufig etwas ratlos zurückbleiben. Und das ist dann doch sehr schade.

Bis 13. Mai, Katalog (Verlag Hatje Cantz) 28 €