: Ab in den Papierkorb
Im Rechtstreit um verfremdete Hakenkreuze fordern Anklage und Verteidigung gemeinsam einen Freispruch
Das Einlenken der Bundesanwaltschaft im Hakenkreuz-Streit war gestern Vormittag im Saalbau des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe nicht unbedingt eine Überraschung für den Versandhändler Jürgen Kamm aus Winnenden bei Stuttgart. Fast drei Jahre lang hatte er gegen die Beschlagnahme vieler tausend Gegenstände aus dem Warenlager seines Punkerbedarfsversandes „Nix Gut“ gestritten. Durchgestrichene Hakenkreuze auf T-Shirts, Aufnähern und -klebern, Anstecknadeln, Plakaten, solche, die von einer Faust zertrümmert oder einfach in den Papierkorb befördert werden, hatte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft kistenweise abtransportiert. Das Landgericht Stuttgart verurteilte Kamm auf Betreiben des Oberstaatsanwaltes Bernhard Häußler im September 2006 zu 3.600 Euro Geldstrafe wegen Verbreitung verbotener, verfassungsfeindlicher Kennzeichen.
In seinem Plädoyer hatte er darauf bestanden, dass Nazi-Symbole generell tabu sein müssten und nicht verfremdet und damit zu „modischen Accessoires“ werden dürften. Schon zu Beginn der gestrigen Revisionsverhandlung waren sich Bundesanwaltschaft und Verteidigung einig, dass das Urteil nicht haltbar sei, und beantragten gemeinsam einen Freispruch. Mit der Urteilsverkündung am 15. März könnte ein absurder Rechtsstreit beendet werden, in dem Gerichte bisher je nach Gusto freisprachen oder verurteilten und Rechtsexperten gegenläufig argumentierten.
Der Streit geht weiter
Der politische Streit wird dennoch weitergehen. Erhard Eppler, Antifaschist und moralische Instanz der SPD, hatte Anfang der Woche Bedenken geäußert. Auch durchgestrichene Hakenkreuze könnten die Neonazis aufwerten. Eine Bestrafung aber halte er für falsch. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte im Herbst für den Fall der Verurteilung von Kamm eine Gesetzesänderung angekündigt.
Kamm selbst hatte eingeräumt, dass einige Verfremdungen als Werbung für Rechtsextreme hätten missverstanden werden können. Diese seien inzwischen aus dem Programm genommen worden.
Bundesanwalt Gerhard Altvater gestand dem „Nix Gut“-Versand in diesem Einzelfall bei über 16.000 Gegenständen einen „Irrtum“ zu. HEIDE PLATEN