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Reime aus der Unterwelt

„Meine Mutter glaubt, mir sitzen zwei Engel auf den Schultern: ein schwarzer und ein weißer.“

AUS DORMAGEN LUTZ DEBUS

Dreißig, vierzig Jungs stehen vor einem Wohnblock aus Betonplatten. Sie schwenken eine türkische, eine albanische und eine libanesische Fahne, fuchteln mit Baseballschlägern, Teleskop-Totschlägern und Küchenmessern herum. Viele zeigen den Mittelfinger. Am Bildrand sind Kinder zu erkennen. Dazu erklingt E-Gitarrensound, unterlegt mit Computerbeats. Die Texte des Raps passen zu den Bildern: „Dein Kopf war schon so lang meine Zielscheibe. Das tut Dir nicht mehr weh, darum brech ich Deine Kniescheibe.“ Pistolenschüsse krachen. „Wir sind Al Quaida, Taliban, keiner findet uns.“

Der vierminütige Videoclip wurde im südlichsten Stadtteil von Dormagen, in Hackenbroich von den Jugendlichen selbst gedreht. Direkt an Köln grenzend, gilt die Hochhaussiedlung seit Jahrzehnten als schwieriges Pflaster. Menschen mit Migrationshintergrund wohnen hier, so genannte bildungsferne Milieus, sozial Schwache – die soziologischen Beschreibungen sind so abgegriffen wie zutreffend. Zwar gibt es von Stadt und Land Bemühungen, den Stadtteil aufzuwerten. So wurden Reihenhaussiedlungen zwischen die Betonblocks gebaut. Die Fassaden einer Bayer-Werkssiedlung sind mit frischer Farbe aufgehübscht worden. Aber gegen die Verarmung vieler Hackenbroicher wegen der Hartz-IV-Gesetze hilft kein neuer Anstrich. Zeigt der Clip also Kids, die nichts zu verlieren haben?

Per Zufall entdeckte die Junge Union (JU) in Dormagen den gewaltbereiten Heimatfilm auf den Internet-Seiten von „Youtube“ – der Web-Plattform, auf der jeder kostenlos seine Filme veröffentlichen kann. Andre Heryschek, Vorsitzende der JU in Dormagen, sagt, er halte nichts von Kuschelpädagogik. Deshalb habe man die Mutterpartei von dem Video in Kenntnis gesetzt. Und so wandten sich örtliche CDU und einige besorgte Bürger an Verwaltung und Polizei. Ihre Anfrage: Droht in Hackenbroich ein Bandenkrieg? Sind die Urheber der Texte und Bilder kriminell?

Die Polizei ermittelte, konnte aber nach Sichtung des Materials und der Vernehmung einiger Beteiligter keine strafrechtliche Relevanz erkennen. Der Pressesprecher der Kreispolizeibehörde in Neuss, Hans-Willi Arnold, erklärt auf Anfrage, dass nicht von strukturierten Jugendbanden gesprochen werden könne. Aber: „Wir beobachten die Situation weiter sehr intensiv.“

Auch der Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt wurde aktiv. Klaus Güdelhöfer vereinbarte mit den Jungmusikern ein Treffen: Statt über die Jugendlichen zu reden, sei es besser, mit ihnen zu reden. Der Jugendamtsmitarbeiter konnte nach Gesprächen mit den rheinischen Rappern die Besorgnis nicht teilen: „Nicht mein Musikgeschmack. Bei manchen Texten wird mir übel. Aber die Jugendlichen sind nicht akut gefährlich“. Eher seien sie wohl die gefährdetsten Jugendlichen im Stadtgebiet. Es wäre schön, wenn die Jungs in einem Jugendzentrum betreut würden. Nein, er habe keine Gewalttäter gesehen, die einen bewaffneten Glaubenskrieg führen.

Später sitzen sieben der Gewalt-Rapper an einem langen Tisch im evangelischen Jugendzentrum. Wie bei einer Pressekonferenz wollen sie dem angereisten Journalisten ihr soeben gegründetes Label „H-Town-Unterwelt“ vorstellen. Der Film, den die Lokalpolitiker so in Panik versetzt hat, sei Schnee von gestern, sagt Patrik. Der 18-jährige mit blond gefärbten Haaren und rasierten Schläfen fungiert als Manager. Man habe sich von einem der Mitwirkenden getrennt, sagt er lächelnd. Deshalb sei der Film auch nicht mehr aktuell. Viel interessanter seien die neuesten Aufnahmen, die auf einer eigenen Webseite präsentiert werden. Viele Kids aus dem Stadtteil hätten die Stücke schon runtergeladen und man könne sie überall in den Straßen von Hackenbroich hören.

Um das Gesagte zu untermauern, legt der 18-jährige Hassan sein Handy auf den Tisch, lässt die neueste Produktion laufen. „Chorweiler gefickt“ ist zu hören. Wieder Schüsse, wieder Drohungen und üble Beleidigungen. Der Nachbarstadtteil, ebenfalls Hochhaussiedlung, aber schon auf Kölner Stadtgebiet, gilt bei den Jungs als Feindesland. „Zwölf Mann von denen sind auf unseren Bruder losgegangen“, schreit Hassan aufgebracht. Mit „Bruder“ meint er einen Jungen aus dem Stadtteil Hackenbroich. „Das sind verdammte Pisser! Schreib das!“

Patrik, der einzige mit deutschen Eltern in der Runde, versucht, zu beschwichtigen. „Wir wollen unsere Wut nicht bei Schlägereien loswerden, sondern beim Rappen.“ Der Konflikt, den die Hackenbroicher mit Leuten aus Chorweiler hatten, sei beigelegt. „Game over. Es herrscht jetzt Waffenstillstand!“ Überhaupt sei man durch die Musik friedlicher geworden. Doch die auch anwesende Pädagogin Anette Lilienthal fragt sofort nach, was denn am vergangenen Wochenende geschehen sei? Sie hätte da von einer Schlägerei gehört. Hassan hebt seine bandagierte Hand und lacht: „Da ist doch nichts passiert.“

Astrit, ein 17-jähriger Albaner aus dem Kosovo, gibt sich nachdenklicher: „Dissen macht mehr Schmerzen als Schläge.“ Dissen ist das Verb, das das Beleidigen in einem Rap-Text beschreibt. Aber bewirken Worte wirklich mehr als Taten? Sind die anwesenden jungen Männer selbst gewalttätig oder phantasieren sie sich in ihren Texten nur in eine solche Welt hinein? Schnell entsteht ein Wettstreit unter den sieben Jungs, wer bislang die härteste Strafe wegen Körperverletzung erhalten habe. „1.200 Euro Schmerzensgeld musste ich bezahlen.“ – „Das ist doch nichts. Ich musste 2.500 Euro geben und für eine Woche in den Knast.“ – „Ich hab jemandem fast ein Auge rausgehauen.“ Anerkennend nickt die Runde zu jeder Aussage. Der 16-jährige Besnik, laut Auskunft der Gruppe für die Sicherheit, nicht für die Raps zuständig, zeigt seine imposanten Oberarmmuskeln. Im Gegensatz zu den Vorbildern aus den USA spielen bei den H-Town-Rappern laut Eigenaussage Drogen keine Rolle. Hassan erklärt: „Mein Onkel ist wegen Dealen 10 Jahre im Knast. So einen Stress wollen wir nicht.“ Die Jungs sind Schüler oder Arbeitslose, manche jobben schon Mal als Lagerarbeiter im Lebensmittelgroßmarkt oder in der Küche vom Schnellrestaurant. Ahmet, ein 16-jähriger Türke, besucht eine weiterführende Schule. Er ist für die Webseite zuständig und stellt auf seinem Rechner die Sounds zusammen.

Gemeinsam ist allen nicht nur der Musikgeschmack, sondern auch die Religion. „Allah ist mächtig“, erschallt es kurz nach einem sehr derben Fluch in der Runde. Sogar Patrik, der mit dem Islam wenig am Hut hat, passt sich an: „Ich bin nicht getauft. Um meine Freunde zu respektieren, esse ich kein Schweinefleisch mehr.“ „Er ist wie mein Bruder“, beteuert Hassan und umarmt den schmächtigen Patrik: „Er ist einer von uns. Meine Mutter kocht für ihn.“ In seinen Texten droht Hassan seinen Gegnern dutzende Male an, deren Mütter zu vergewaltigen. Wie findet seine Mutter seine Musik, seine Texte? Obwohl sie kurz nach Hassans Geburt von Beirut nach Hackenbroich gekommen ist, könne sie kein Deutsch. Ansonsten wäre es schwierig für den wüsten Texter. Aber sie ahnt wohl, was ihr Sohn für Musik macht. Hassan erzählt: „Meine Mutter glaubt, dass mir zwei Engel auf den Schultern sitzen. Ein schwarzer auf der einen Seite und ein weißer auf der anderen.“ Mit seinen großen dunklen Augen sieht er bei diesem Satz fast freundlich aus.

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