HEUTE: DIE GANZE WAHRHEIT ÜBER DEN BERUF DES SCHRIFTSTELLERS
: Autoren klauen. Und mit Knut ist es jetzt auch mal gut

VON ULI HANNEMANN

KOLUMNE

Respekt vor dem Lebewesen. Natürlich ist überhaupt nichts daran lustig, wenn ein Bär einen epileptischen Anfall bekommt, kopfüber ins Wasser fällt und stirbt. Außer den Bildern auf YouTube allenfalls, die mich an O. J. Simpsons legendären Bootsauftritt in „Die nackte Kanone“ erinnern, wohl eine der grandiosesten Slapstickszenen überhaupt. Das gewaltige Affentheater, das in Berlin um Knut herum herrscht, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Zum einen, weil vielen Menschen auf der Welt der Arsch zur Zeit auf Grundeis geht (wenn er nicht längst weggefroren ist), und zum anderen hatte Knut noch einen vergleichsweise angenehmen Tod, im Gegensatz zu den unfreiwilligen Schinkenspendern, die sich viele der trauernden „Tierfreunde“ täglich in Plastikfolie eingeschweißt aus dem Aldiregal ziehen.

„Aber du nagelst dir doch selber jeden Tag fünf unglückliche Riesenwürste in den Pansen, du bigotte Sau!“, mag jetzt so mancher einwerfen, der mich kennt. Dem kann ich nur entgegnen: Ja schon, aber es ist doch schließlich meine Aufgabe als Autor, sprich als wortgewandter Chronist und Hinschreiber, auch ungeachtet eigener Schwächen, objektive Missstände anzuprangern, selbst wenn man diese nicht beseitigen kann oder will. Doch ist es wirklich meine Aufgabe? Mal Hand aufs Herz: Warum immerzu Autoren zu fachfremden Themen wie Politik, Fußball oder menschlicher Moral befragt werden, zu denen sie im besten Fall auch nur den theoretischen Hauch einer Ahnung haben, ist mir im Grunde meines Herzens völlig schleierhaft. Etwa weil sie so schlau sind und „moralische Instanzen“ – eine Binsenweisheit, wie sie eine halbintellektuelle Claque wider besseres Wissen und Gewissen seit Jahrhunderten vertritt?

Autoren sind nicht schlau. Ich muss das wissen. Die meisten Autoren können ausschließlich schreiben, und noch nicht mal das besonders gut. Autoren sind auch keine besseren Menschen, sondern tendenziell eher schlechtere. Sie sind komplexbeladene Angeber, die immer nur an sich denken. Anderen hören sie nicht zu, weil ihre Gedanken in einem fort selbstverliebt um neue Formulierungen kreisen, mit denen sie ihre inhaltliche Armut verschleiern möchten. Und hören sie doch einmal zu, dann nur, um in Ermangelung eines eigenen Lebens das Fremdgehörte zu verwenden, auszuschlachten – ja, man kann es ruhig aussprechen: zu klauen – und den Gesprächspartner obendrein mit dessen verdrehten Worten in die Pfanne zu hauen, um die angebliche Überlegenheit des eigenen Charakters herauszustreichen. Autoren trinken zu viel, lügen am Telefon, lieben heimlich Atomkraft, quälen Mäuse, sind aggressiv im Straßenverkehr, halten sich für unendlich wichtig – kurz, sind eitle, notgeile, feige und geschwätzige Soziopathen. Und wenn sie das sind, haben sie sogar noch Glück gehabt, weil sie dadurch immerhin noch nicht zur allerschlimmsten Untergruppe der Autorenschaft gehören: postvirile Antarktisbesteiger, die auf den Buchdeckeln mit schwielenverursachenden Nebenjobs, die sie Anno Tobak ausgeübt haben, bevor sie ebenfalls zu faulen Sesselpupern wurden, prahlen wie Jesus mit seinen Wundmalen. Nein, Autoren sprächen naturgemäß wirklich besser über das Verlagswesen, Textverarbeitungsprogramme, Schreibkrisen, Frankfurter Bordelle und Bleistiftanspitzer. Alles andere ist schlicht nicht ihr Bier. Sinnbildlich steht das ahnungslose Gestammel eines Günter Grass während der Halbzeitpause eines Bundesligaspiels des SC Freiburg für alle Zeiten als herausragendes Monument im Fremdschämzentrum meines Hirns eingemeißelt.

„Aber was sollen wir denn dann schreiben?“, maunzt die versammelte Autorenschar empört in meinem Kopf. Tja, gute Frage. Die im Grunde auch mich betrifft. Am besten, wir machen alle so weiter wie bisher. Und was die miesmacherischen Zeilen oben anbelangt: Psst, Maul halten und nicht weitersagen …