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Archiv-Artikel

Die Achse der Hoffnung

Tariq Ali meint es bitterernst mit seiner Verehrung für das Triumvirat Hugo Chávez, Evo Morales, Fidel Castro. Eine Analyse ihres Wirkens fehlt leider

Wenn Tariq Ali die Politsuada verlässt, den eigenen Erfahrungen traut, leuchten seine Stärken auf

VON CHRISTOPH TWICKEL

Kuba in den Sechzigern, Chile in den Siebzigern, Nicaragua in den Achtzigern, Chiapas in den Neunzigern: Jedes Jahrzehnt hatte seine lateinamerikanische Revolution. Und an Solidarität aus der europäischen Linken mit diesen Revolutionen hatte es eigentlich nie gemangelt. Die sogenannte bolivarische Revolution in Venezuela jedoch konnte bei uns bislang nicht so recht landen.

Womöglich produziert sie einfach die falsche Ikonografie. Statt pittoresken Aufstandsambientes mit bärtigen Guerilleros oder bewaffneten Indigenen erreichen uns Bilder des bulligen Comandante Hugo Chávez vor rotgewandeten Massenaufmärschen. Der Exmilitär klopft Schulter mit Ahmadinedschad, wettert gegen das US-Imperium und seine Lakaien und eignet sich so gar nicht nicht zum linken Säulenheiligen. Und weil die schärfsten Kritiker der Elche bekanntlich früher selber welche waren, finden sich bei uns reichlich Linksaußen-Experten, in deren Augen Chávez’ „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bestenfalls als Reformprogramm durchgeht – und obendrein auch noch als reichlich uneffektives.

Es fehlen also kritische Sympathisanten, die den Bewegungscharakter des lateinamerikanischen Linksrucks nicht gleich leugnen. Tariq Ali will ein solcher Sympathisant sein. Der britisch-pakistanische Schriftsteller hat sich zu einer Streitschrift aufgeschwungen, in der er die „Piraten der Karibik“ verteidigt, die derzeit die Supermacht USA und ihre Verbündeten in Lateinamerika herausfordern. Gemeint sind Fidel Castro, Hugo Chávez und Evo Morales, und schon die Grafik des Buchumschlags strapaziert die Metapher erheblich: Drei Piratenschiffe steuern auf die Skyline New Yorks zu und hinterlassen brennende Dollarbündel. Darüber die Porträts von Morales, Chávez und Fidel Castro, über dem sogar ein Heiligenschein schwebt.

Ist das ironischer Trash? Nein. Tariq Ali, einst Vorkämpfer der 68er-Revolte und nie abgerückt von der sozialistischen Vision, bezeichnet sich als „altgedienter Pirat“. Er meint es bitterernst mit seiner Verehrung für das Triumvirat Hugo, Evo und Fidel. Endlich, nach Jahren linker Agonie, taucht am lateinamerikanischen Horizont eine „Achse der Hoffnung“ auf, die dem Neoliberalismus die Stirn bietet. Der Verkündigung dieser frohen Botschaft ist dieses Buch ausschließlich gewidmet – und da liegt auch das Problem. Tariq Ali, zu Recht gefragt und beliebt als Autor, der die islamische Welt nicht nur unter religiösen, sondern ebenso unter sozialen Aspekten zu analysieren weiß, tappt auf dem lateinamerikanischen Kontinent in die Falle der politischen Bekenntnisliteratur.

Im Herbst seines Kämpferlebens wird er noch mal schwach – im doppelten Sinne, wie er selbst in einer Anekdote verrät. Bei seinem Kubabesuch 2005 spricht er vor Schriftstellern und Intellektuellen über die Probleme, die die radikale europäische Linke mit dem ostblockhörigen Fidel Castro der Siebziger- und Achtzigerjahre hatte. „Und jetzt?“, fragt ihn eine Kubanerin. „Jetzt sind wir beide alt“, antwortet Ali. „Wir brauchen einander. Es ist Liebe in den Zeiten der Cholera.“

Liebe macht aber bekanntlich blind, und so ist „Piraten der Karibik“ in weiten Teilen hölzern-verschraubte Parteisoldatenprosa. Als etwa ein US-Fernsehprediger öffentlich zum Mord an Chávez aufruft, schreibt Ali: „Wenn die vielleicht etwas weniger Bewanderten in den Lateinamerikaabteilungen des US-Außenministeriums und der CIA tatsächlich geglaubt haben sollten, dass solche Terrordrohungen den venezolanischen Staatschef einschüchtern könnten, dann waren sie auf dem Holzweg. Chávez antwortete darauf einige Wochen später in New York, als er vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in einer für ihn charakteristischen kraftvollen Rede aus der Reihe tanzte und die in seinen Augen viel zu enge Verbindung zwischen UN und USA frontal angriff.“

So geht es in einem fort. Da stehen „Nächstenliebe und Solidarität“ auf der einen und „Habgier und Kriecherei“ auf der anderen Seite. Da wird gegen die „Apologeten der neuen Weltordnung“, gegen die „Feinde des Lichts“ und ihre „Handlanger“ gewettert, und ständig muss der Terminus „die Oligarchie“ herhalten, wenn gesellschaftliche Machtverhältnisse zu beschreiben sind.

Statt eine Analyse der komplexen revolutionären Gemengelage in Lateinamerika zu entwickeln, huldigt Tariq Ali den Guten, verdammt die Bösen – und das alles im ungenießbaren Jargon maoistischer Flugschriften aus grauer Vorzeit. Zu allem Überfluss verfranst er sich auch noch gehörig auf all den „Andenpfaden, die von der neoliberalen Autobahn abzweigen“. Vor allem im Kapitel über Venezuela, wo sich die Ereignisse in den Jahren nach Chávez Amtsantritt 1999 überschlagen haben, manövriert der Autor seine Leser in ein heilloses Durcheinander aus Putschen, Gegenputschen, Verschwörungen und Desinformationspolitiken.

Durch Bolivien führt er souveräner, schließlich hat er den Andenstaat schon 1967 zum ersten Mal bereist und weiß einiges über die Hintergründe der Gewerkschafts- und Indigenenkämpfe zu berichten, die zum Aufstieg von Evo Morales geführt haben.

Gleiches gilt für seine Analyse des postsowjetischen Kuba: Immer dort, wo der alte Recke die Politsuada verlässt, den eigenen Erfahrungen traut, leuchten die Stärken Alis auf. Er kennt viele Geschichten, er weiß um die linken Grabenkämpfe vergangener Jahrzehnte und um die vielen enttäuschten Hoffnungen Lateinamerikas. Doch er nimmt sich nicht die Ruhe, davon zu erzählen. Stattdessen bricht das Buch nach knapp zweihundert Seiten ziemlich abrupt ab, und die verbleibenden hundert füllt der Verlag notdürftig mit Chávez-Reden und braven Interviews mit Getreuen des venezolanischen Präsidenten.

Tariq Ali: „Piraten der Karibik. Die Achse der Hoffnung“. Aus dem Englischen von Michael Bayer, Ursula Pesch und Karin Schuler. Diederichs Verlag, Kreuzlingen/München 2007, 304 Seiten, 22 Euro