„Nicht nur Branchen-Nasen“

Die Drehbuch-Lesungen „Readings“ gehen weiter – und konfrontieren die Autoren mit dem wahren Publikum

HEIKE MELBA-FENDEL, Jahrgang 1961, ist Autorin und Inhaberin der Kölner Künstleragentur Barbarella Entertainment. Die PR-Fachfrau denkt gerne mal laut nach und legt sich bei Bedarf auch lustvoll mit der eigenen Branche an. Die „Readings“ sind für Barbarella eine Non-Profit-Veranstaltung.

Drei Jahre war Pause. Am Montag lädt Barbarella-Entertainment zunächst in Berlin wieder zu den „Readings“: Unverfilmte Drehbücher werden von SchauspielerInnen präsentiert – und dann mit dem Publikum diskutiert. Fernsehen zum Anfassen und Mitmachen, lange bevor die Kamera ins Spiel kommt. Doch etwas ist neu: Die Stoffe erleben jetzt tatsächlich ihre TV-Premiere – im „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF.

taz: Frau Fendel, bei früheren Readings ging es um abgelehnte Drehbücher aus dem Giftschrank – wie die letzte, nie verfilmte Folge von „Derrick“. Warum in aller Welt sind es nun „richtige“ Drehbücher?

Heike Melba-Fendel: Selbst der beste Giftschrank wird mal leer. Wir haben ja immer die besten abgelehnten Drehbücher präsentiert – nicht irgendwelche Gurken. Außerdem hat sich die Drehbuchentwicklung in Deutschland professionalisiert. Früher haben wir gesagt: Produzenten, kommt und schaut, wie sehr das Publikum in Wahrheit die von euch abgelehnten Stoffe liebt. Heute sagen wir: Ein fertiger Film ist teurer, als nach so einem Reading noch mal am Drehbuch zu arbeiten.

Was fehlt denn bei der Drehbucharbeit heute am meisten?

Schlicht und ergreifend Zeit. Heute müssen Autoren ihre Projekte bei Produzenten und Senderredakteuren in zweiminütigen plakativen Präsentationen vorstellen, man nennt das pitchen. Wenn Leute sich nicht mal anderthalb Stunden Zeit nehmen wollen, um ein Buch zu lesen, sind sie’s eigentlich gar nicht wert. Wir sind also immer noch eine Art „Antipitch“, bei dem die noch unfertigen Drehbücher in voller Filmlänge von klasse Schauspielern gelesen werden. In Berlin lesen zum Beispiel Hannah Herzsprung, Constantin von Jascheroff, Heikko Deutschmann und Kai Lentrodt.

und zwar die „Eisbombe“. Worum geht’s?

Das ist eine schwarze Komödie von Oliver Jahn und Stéphane Bittoun über eine mehr als leicht disfunktionale Familie, die sich im Ökowahn befindet – von Tschernobyl bis Al Gore.

Was aber soll so ein Reading, wenn das Fernsehen den Stoff schon gekauft hat?

Ich sehe das als eine Art Test, deswegen ist es wichtig, dass auch wirklich ein stinknormales Kino- und Fernsehpublikum da sitzt. Wenn nur Branchennasen dabei sind, bekommt man kein Gefühl dafür, was wirklich funktioniert: Die lachen doch erst, wenn auch der Chef lacht.

Fehlt den TV-Redaktionen also vor allem die Traute?

Natürlich wird vieles ständig formatierter, es reicht doch, mit offenen Augen fernzusehen. Das gilt bis zur Besetzung: Es müssen nicht immer Frau Ferres und Frau Furtwängler mitspielen, damit die Hütte voll wird. stg

„Readings: Die Eisbombe“, 26. 3., 20.30 Uhr, Admiralspalast Berlin