: Der Mann, der niemals schreibt
Wenn ein Journalist das Rentenalter erreicht und seinen Abschied aus dem Berufsleben nimmt, ist das Anlass für ein Schlückchen Sekt, vielleicht noch eine kleine Feier – aber doch nicht für eine öffentliche Würdigung. Erst recht gilt dies für jene, die nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und keine Talkshowsessel platt gesessen haben. Was soll der Leser auch mit einem umbekannten Namen anfangen?
Heute machen wir da mal eine Ausnahme.
Diese Ausnahme gilt Carlo Ingelfinger, langjähriger Chef vom Dienst der taz und in den letzten acht Jahren in gleicher Funktion bei Spiegel Online tätig. „Andere können besser schreiben“, so begründete Ingelfinger einmal bescheiden, warum so gut wie nie Texte von ihm zu lesen waren. Das war natürlich Unsinn. Fest steht aber, dass er im Planen, Organisieren und Einschätzen von Nachrichten unerreicht bleibt. Noch aus dem drögesten Thema macht er einen Hit. Und erst Carlos Schlagzeilen …
Einmal, es ist jetzt 12 Jahre her, rätselte die ganze taz-Redaktion darüber, wie man aus dem schnarchlangweiligen Auftritt von US-Präsident George W. Bush im Bundestag einen Aufmacher gestalten könnte. Ingelfingers Lösung: „Bushs historische Rede“, und darunter eine große leere Sprechblase auf einer weißen Seite 1.
Ingelfinger, Jahrgang 1949 und unverkennbar Schwabe, hatte Geschichte und Germanistik studiert. 1979 kam er ins Stuttgarter Regionalbüro der taz. Dann fiel er einer der vielen Sparwellen zum Opfer. Doch er kehrte zurück – nun in die Berliner Zentrale, damals in der Wattstraße, erst in die Nachrichtenredaktion, später als Chef vom Dienst und zuletzt als Leiter der Schwerpunkt-Redaktion.
Ingelfinger war Doyen dieser Zeitung, und ganz ähnlich ging es ihm auch bei Spiegel Online. „Jeder Text wurde bunter, den er in seine Finger bekam“, sagt ein langjähriger Kollege. Im noch hektischeren Online-Getriebe kam ihm in Hamburg auch die Rolle des weißhaarigen Entschleunigers zu, der Informationen erst einmal sorgfältig prüfte, bevor er diese für würdig zur Publikation befand.
Carlo Ingelfinger (wir verraten hier nicht seinen wahren Vornamen), taz-Urgestein, hat den Spiegel-Online-Schreibtisch in Hamburg jetzt verlassen. Eine Nachfolgerin besorgte sich das Nachrichtenportal schon vor einigen Wochen – natürlich bei der taz. KLAUS HILLENBRAND