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Archiv-Artikel

Bloß nicht zu viel Integration

Als das niedersächsische Landesgleichstellungsgesetz vorgestellt wurde, hoffte der Sozialverband auf Gespräche über einen Ausbau der integrativen Beschulung. Doch im Kultusministerium sieht man keinen Handlungsbedarf

Die gesetzlichen Grundlagen

Das niedersächsische Schulgesetz sieht die Möglichkeit integrativer Beschulung vor: „SchülerInnen, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (...) sollen an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern (...) unterrichtet werden, wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann.“ Diese Möglichkeit ist jedoch wie in nahezu allen Bundesländer durch Vorbehalte eingeschränkt, nämlich „soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben“. „Es gibt kein Bundesland, das wir explizit im Bereich integrativer Beschulung loben würden“, so formuliert es Alexander Quegwer vom Arbeitsstab der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Karin Ewers-Meyer. Die hatte kritisiert, dass der Entwurf zum niedersächsischen Gleichstellungsgesetz keinerlei Regelungen zu Kindertagesstätten und Schulen enthält. GRÄ

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Nach der Vorlage des Entwurfs zum niedersächsischen Landesgleichstellungsgesetz hatte der niedersächsische Landessozialverband zwei Hoffnungen: dass die von 16 Organisationen aus dem Sozial- und Behindertenbereich geäußerte Kritik zu Änderungen führen würde. Und dass die Ankündigung aus dem Sozialministerium, man wolle sich mit dem Kultusministerium abstimmen, Gutes für die integrative Beschulung im Land bedeuten würde. Beides scheint sich nicht zu bewahrheiten.

Auf dem gestrigen Treffen der protestierenden Bündnispartner wurde deutlich, dass niemand von weiteren Gesprächen zwischen den Ministerien unterrichtet ist. Im Kultusministerium selbst weiß man ebenfalls nichts von Treffen zwischen den beiden Häusern. Sicher ist nur eines: dass der Haupteinwand der Kritiker gegen das Gesetz unberücksichtigt bleiben wird, keinerlei Vorgaben für die kommunale Ebene zu machen, auf der sich das alltägliche Leben der Behinderten abspielt.

„Man sucht Ausflucht im Konnexitätsprinzip“, so kritisiert Christian Hoffmann, Sprecher des Sozialverbandes Niedersachsen. Das Konnexitätsprinzip, das das Land dazu verpflichtet, Kosten zu übernehmen, die durch seine Vorschriften auf anderen Verwaltungsebenen entstehen, sei jedoch ein „Totschlagargument“. Insofern sieht er wenig Hoffnung für die Forderung des Sozialverbandes, die integrative Beschulung in Niedersachsen weiter voranzutreiben.

Das Landesgleichstellungsgesetz kann jedoch nur äußere Bedingungen im Rahmen der Barrierefreiheit klären. Die Rahmenbedingungen für den Schulbesuch behinderter Kinder klärt das Schulgesetz – und zu dem scheint es derzeit auf Ministeriumsseite keinen Gesprächsbedarf zu geben.

„Wir haben in diesem Bereich ganz viel“, sagt der Sprecher des Kultusministeriums, Georg Weßling. Es gehe nicht darum, „um jeden Preis“ integrativ zu beschulen, sondern „passgenaue Angebote“ für die einzelnen Kinder zu finden. Für behinderte Kinder in Niedersachsen gebe es Regelschulen, also integrative Beschulung. Es gebe kooperative Modelle, bei denen behinderte Kinder gemeinsam mit nicht-behinderten Kindern lernen, aber in eigenen Klassen unterrichtet werden, sobald gemeinsamer Unterricht sie überfordert. Und es gebe Förderschulen, wo ausschließlich behinderte Kinder unterrichtet werden.

Kersten Röhr, Geschäftsführer der Lebenshilfe Niedersachsen, begrüßt grundsätzlich die vielfältigen Beschulungsmöglichkeiten. Das kooperative Modell beschränke sich nicht auf Grundschulen, sondern es gebe auch Realschulen und – zumindest – ein Gymnasium, in dem behinderte und nicht behinderte Kinder zeitweise gemeinsamen Unterricht besuchen. Dieses Modell, so Röhr, werde weiterhin ausgebaut, während das integrative Konzept „nur minimal“ ausgeweitet werde. Doch gerade bei körperlich behinderten Kindern sei integrativer Unterricht „sehr sinnvoll“ – und teurer für das Land, da für die kleinen Unterrichtsgruppen mehr Lehrer benötigt werden.

Eben jene Form der Förderung ist aber für den Leiter des Arbeitsstabs der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Alexander Quegwer, wegweisend. „Die individuelle Förderung ist das A und O – und gilt für alle Kinder, unabhängig, ob sie hochbegabt oder behindert sind“. Für ihn wäre ein enormer Fortschritt, wenn es über die Integration behinderter Kinder in Regelklassen gelänge, dieses Prinzip in deutschen Schulen zu verankern.

Doch noch gibt es wenig Hinweise darauf. Die Quote behinderter Kinder, die eine Regelschule besuchen, liegt bundesweit bei zwölf Prozent und damit weit hinter anderen europäischen Ländern. Verantwortlich dafür macht Quegwer neben finanziellen Vorbehalten die Befürchtugen von Eltern nicht-behinderter Kinder, die glauben, ihr Kind könne durch das Lernen mit behinderten Kindern Einbußen erleiden. Zugleich gebe es Eltern behinderter Kinder, die sich von einer Schule, die ausschließlich behinderte Kinder aufnimmt, mehr Förderung erhofften.

In der Behindertenpolitik sei man jedoch vom Gedanken eines Schutzraums schon lange abgekommen: „Man will die Kinder auf das Leben in der Gesellschaft vorbereiten“.