: Mysteriöser Feuertod in Fesseln
Gestern begann der Prozess um den Fall des in einer Polizeizelle gestorbenen Oury Jalloh. Wie konnte der Mann verbrennen? Klar ist: Die Brandmelder funktionierten nur bedingt und nach den Feuerlöschern mussten die Beamten erst eine Weile suchen
AUS DESSAU MICHAEL BARTSCH
Mariama Djombo Jalloh, die Mutter des in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Afrikaners Oury Jalloh, brach während der Verhandlung plötzlich schluchzend zusammen. Vertreter der Nebenklage und ihr ebenfalls am Prozess teilnehmender zweiter Sohn trösteten sie. Abgesehen von den festungsartigen Sicherungsmaßnahmen war dies das spektakulärste Ereignis eines ansonsten ruhigen Prozessauftaktes. Der erste Hauptverhandlungstag am Landgericht Dessau erhellte die mysteriösen Todesumstände des Asylbewerbers aus Sierra Leone kaum.
Angeklagt sind zwei Beamte eines Dessauer Polizeireviers. Die von Oberstaatsanwalt Christian Preißner verlesene Anklage wirft Hans-Ulrich M. fahrlässige Tötung vor. Er soll den Afrikaner nach der Inhaftierung nicht gründlich genug durchsucht haben, so dass dieser möglicherweise ein Feuerzeug in seine Zelle geschmuggelt haben könnte. Seinem vorgesetzten Dienstgruppenleiter Andreas S. wird Körperverletzung mit Todesfolge zur Last gelegt. Der Polizeihauptkommissar soll trotz Feueralarm nicht unverzüglich reagiert haben. Durch seine Nachlässigkeit habe er den Tod des Asylbewerbers billigend in Kauf genommen, sagte Preißner.
Oury Jalloh war am Morgen des 7.Januar 2005 in stark alkoholisiertem Zustand von einem Streifenwagen aufgegriffen worden, nachdem Frauen die Polizei um Hilfe gerufen hatten. Er soll sie angeblich belästigt haben. Auf dem Revier sollte er bis zur Feststellung seiner Identität und zu seinem „Eigenschutz“ festgehalten werden. Nach übereinstimmenden Zeugenangaben wehrte er sich heftig und wurde schließlich an Händen und Füßen gefesselt auf eine Pritsche einer Zelle im Keller des Hauses gelegt. Regelmäßige Kontrollen erbrachten außer Geräuschen aus der Abhöranlage und bis zum Anschlagen der Warnsysteme zunächst nichts Verdächtiges. Hans-Ulrich M. wollte über eine vorbereitete Erklärung hinaus eigentlich nichts zur Sache aussagen, beantwortete dann aber doch zahlreiche Fragen. Er bestritt den Vorwurf der Anklage und schilderte die seiner Meinung nach gründliche Durchsuchung. „Ein Feuerzeug hätte ich mit Sicherheit gespürt!“ Möglicherweise könne der Afrikaner ein Feuerzeug, mit dem er seine Matratze entzündet haben könnte, auch im Revier gefunden haben.
Der damalige Dienstgruppenleiter Andreas S. bedauerte eingangs das Geschehen vom Januar 2005 und dass es ihm „nicht vergönnt war, das Leben von Oury Jalloh zu retten“. Für sich konnte er jedoch kein pflichtwidriges Verhalten erkennen. Über die Abhöranlage seien zwar ständig Geräusche wie Klappern, Schreien und Schimpfen des Inhaftierten und ein „Plätschern“ zu hören gewesen. Das hätten er und eine Kollegin für einen Wasserschaden gehalten, der vielleicht auch den Rauchmelder kurzgeschlossen haben könnte. Er habe dann lediglich das akustische Signal abgestellt und nach seinem Empfinden unverzüglich nachgesehen.
Wie konnte in der Zelle mit einer feuerfesten Matratze überhaupt ein Brand ausbrechen? Diese Kernfrage des Geschehens blieb völlig offen. Auch die Herkunft der bei der Obduktion des Toten festgestellten weiteren Verletzungen bleibt offen. Die beiden Polizisten enthüllten mit ihren Aussagen eher fragwürdige Allgemeinzustände im Polizeirevier. Eine Einweisung für die nur teilweise funktionstüchtigen Brandmelder gab es nicht, ebenso wenig einen Lageplan für Feuerlöscher, die nach Entdeckung des Brandes erst gesucht werden mussten. Eine Anweisung des Polizeipräsidiums, nach der eine Leibesvisitation nur bei Verdacht auf schwere Straftaten nötig sei, war später nicht mehr auffindbar.
Die Nebenklage, die die Verwandten des Opfers vertritt, vermutet latenten Rassismus bei den Polizisten, der ihre Nachlässigkeit begünstigt haben könnte. Plakate der etwa zwanzig Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude sahen sogar die „Dessauer Polizei vor Gericht“. Doch dafür lieferte der erste Prozesstag keine Anhaltspunkte. Auch Prozessbeobachter Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte konnte solche nicht erkennen. Wegen zusätzlicher Zeugenvernehmungen wird die Urteilsverkündung für die zweite Maiwoche erwartet.