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Archiv-Artikel

Die Angst vor dem Mappus-Syndrom

Ohne eine geradlinige Kommunikationsstrategie können die Rufer von „Oben bleiben“ schnell die neue Regierung tieferlegen. Anton Hunger, ehemaliger Pressechef von Porsche, liefert dem angehenden grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann einen Sprechzettel, den der in den kommenden Monaten gut wird brauchen können

von Anton Hunger

Die einen sind fasziniert, die anderen starren gebannt nach Süden, und der Rest hat die Zeit noch nicht gefunden, den Mund wieder zu schließen. Was Heerscharen von Werbestrategen („Wir können alles. Außer Hochdeutsch“) nicht erreicht haben, exerzierten die Stuttgart-21-Gegner und mit ihnen die Grünen des Landes eindrucksvoll vor: Baden-Württemberg ist für die Republik interessant geworden.

Der erste grüne Ministerpräsident in einem Flächenstaat, noch dazu im erfolgreichsten, und die seit beinahe sechs Jahrzehnten regierende CDU in der Opposition. Da darf Staunen zwischen Rhein und Oder-Neiße angesagt sein.

Mit dem Wahlergebnis erreicht der Südweststaat eine Aufmerksamkeit wie nie zuvor – und vor allem eine Erwartungshaltung. Die Schwarzen wollen das grün-rote Experiment scheitern sehen; Gabriel, Trittin und Co den Beleg liefern, dass es sehr wohl funktioniert. Eine Erwartungshaltung werden Winfried Kretschmann und Nils Schmid auf jeden Fall bedienen, und es ist längst nicht ausgemacht, welche. Sieg und Niederlage liegen bisweilen eng beieinander. Und der Erfolg hängt nicht allein von der Sache ab.

Ministerpräsident Stefan Mappus scheiterte auch deshalb, weil in der Kommunikation zu Stuttgart 21 so ziemlich alles falsch gemacht wurde, was man nur falsch machen kann. Gerade im Zeitalter der Überinformation brauchen die Menschen einen Kompass, der ihnen die Richtung zeigt und der sie mitnimmt auf diesen langen Weg. Dieser Kompass kann nur eine Leitfigur sein, die den Menschen eine Vision in einer immer komplexeren Welt gibt. Es war ja nicht so, dass uninformierte Bürger auf dem Arnulf-Klett-Platz demonstrierten. Es war ein gebildetes Bürgertum, internetaffin, mit Zugang zu allen notwendigen Informationen. Aber dieses Bürgertum fühlte sich desinformiert, nicht ernst genommen und vor allem: nicht mitgenommen.

Kommunikation ist keine Hauruck-Aktion

Siege werden nur mit Leidenschaft eingefahren. Wenn aus dem Wählervotum eine Erkenntnis ohne Einschränkung herauszufiltern ist, dann diese: Die Zeiten einer patriarchalischen Informationspolitik sind vorbei, der selbstgefällige Politikstil von oben herab ist nicht nur erwiesenermaßen kontraproduktiv, er ist auch gescheitert. Erst entscheiden und sich dann überlegen, wie man es den Menschen beibringt, funktioniert nicht mehr. Kommunikation ist keine Hauruck-Aktion, Kommunikation ist ein Prozess, der auch und vor allem den Respekt vor den Zweiflern mit einbezieht.

Vor diesem grundsätzlichen Problem steht jetzt auch Winfried Kretschmann. Er will zwar das Bahnprojekt beerdigen, aber für das Grab keine Schaufel in die Hand nehmen. Es sollte einfach von selbst von der Agenda verschwinden, was es natürlich nicht tun wird. Sein Koalitionspartner SPD will den Bahnhof tieferlegen, die Parlamente haben sich mehrheitlich ebenfalls dafür ausgesprochen, und die Bahn hat rechtsgültige Verträge.

In dieser dampfenden Gemengelage haben sich Grüne und SPD im Wahlkampf auf eine Volksabstimmung geeinigt. Aber das war im Wahlkampf, und bald sitzt man in der Regierung und hat das Wahlkampfversprechen an der Backe. Die Grünen merken nun, dass ihnen ausgerechnet dieses Versprechen die Schlinge um den Hals zuzieht. Am besten sollte man es gar nicht erst darauf ankommen lassen, zumal das Quorum nach der Landesverfassung kaum zu schaffen ist. Demnach müsste ein Drittel der Stimmberechtigten – also 2,5 Millionen Schwaben und Badener – mit Nein votieren. Also eiert Herr Kretschmann herum: „Wir haben vereinbart, dass jetzt der Stresstest kommt und danach grundsätzlich die Volksabstimmung.“ Er will, dass sich das Thema von selbst erledigt, dass sich aus den zu erwartenden Mehrkosten als Ergebnis aus dem Stresstest gleichsam ein fröhlicher Leichenzug für den Bahnhof bildet. Pustekuchen. Kretschmann macht in der Kommunikation seinen ersten Fehler.

Keine höhere Glaubwürdigkeit für die Grünen per se

Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut, und an Mappus kann man wunderbar studieren, wohin mangelnde Glaubwürdigkeit führen kann. Kretschmann sollte das ernst nehmen. Grüne Politiker neigen zwar dazu, dass ihnen per se eine höhere Glaubwürdigkeit attestiert wird als der politischen Konkurrenz, und die jüngsten Wahlergebnisse befeuern diese Einstellung auch. Aber die Mühen der Ebene liefern ausreichend Fallstricke, um eine Glaubwürdigkeit zu ramponieren. Gut gemeint ist nicht notwendigerweise gut.

Also, was tun? Kretschmann muss sich am Hintern kneifen, um zu verinnerlichen, dass er nicht mehr Wahlkämpfer ist, sondern demnächst Verantwortung für zehn Millionen Bürger übernehmen wird. Das heißt, er muss diese Rolle mit Kopf und Bauch annehmen und wird lernen müssen, dabei nicht Everybody's Darling zu sein. Er muss also eine klare, nachvollziehbare Haltung zeigen. Ist eine Volksabstimmung versprochen, dann muss sie ohne Wenn und Aber und ohne Verweis auf einen Stresstest durchgezogen werden (sofern aufgrund der bestehenden Parlamentsbeschlüsse nicht doch belastbare verfassungsrechtliche Bedenken dem entgegenstehen).

Unterstellt, das Quorum wird erreicht und die Volksabstimmung bringt das Aus für Stuttgart 21, dann hat das Duo Kretschmann/Schmid zwar eine Menge Probleme, aber seine Glaubwürdigkeit nicht verspielt.

Unterstellt aber, das Quorum wird nicht erreicht oder die Volksabstimmung bestätigt die Tieferlegung des Bahnhofs, dann wird die grün-rote Regierung dieses Votum akzeptieren und umsetzen müssen. Glaubwürdigkeit entsteht dabei nur, wenn man sich vollumfänglich hinter das Ergebnis des Volksentscheides stellt. Jedes Lavieren und Fintisieren führt zum Mappus-Syndrom und damit zum Scheitern. Aber wie sage ich es meinem Volke? Kretschmann wurde schließlich von den Bahnhofsgegnern, wenn auch mit radioaktiver Unterstützung aus Fukushima, in die Villa Reitzenstein getragen.

Ein Versuch also, wie der Sprechzettel für Winfried Kretschmann für den Fall einer aus grüner Sicht gescheiterten Volksabstimmung aussehen könnte:

1. Kretschmann gibt unumwunden zu, dass ihn das Votum der Baden-Württemberger enttäuscht (glaubwürdig).

2. Kretschmann erklärt, dass das Volk gesprochen habe und sich die grün-rote Landesregierung wie auch er persönlich als Demokrat dem Willen des Volkes beugen werde (klares Bekenntnis).

3. Kretschmann verweist auf seine Verantwortung als Ministerpräsident des ganzen Landes und seiner Bürger und erklärt, dass die Landesregierung das Projekt unterstützen und dem Bauvorhaben keine Steine in den Weg legen wird (Versprechen eingelöst).

4. Kretschmann vermeidet jede Attitüde, in ein wie immer geartetes Wahlkampfmuster zurückzufallen (Staatsmann).

5. Kretschmann verspricht, sich den ganz großen Aufgaben des Landes mit Herz und Verstand zu widmen und die große Aufgabe Stuttgart 21 in seine Arbeit einzubinden. Da es die Bürger so wollten, darf er von nun an den Bahnhof als Ausweis für die Weltoffenheit der Schwaben bezeichnen (Vision).

Gesetzt den Fall, der Stresstest beerdigt das Projekt und macht eine Volksabstimmung überflüssig, dann können Kretschmann/Schmid zwar ihr Gesicht wahren, müssten aber dennoch dem erstaunten Publikum erklären, warum der Steuerzahler für den Rückbau und die Konventionalstrafen aus den rechtsgültigen Verträgen aufkommen soll. Daraus könnte leicht eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit demokratischer Entscheidungsprozesse entfacht werden. Der Steuerzahler hat es nämlich nicht so gerne, wenn er für Fehlentscheidungen der Politik geradestehen soll. Und ein negatives Ergebnis des Stresstests wäre ja nichts anderes als der Beweis für eine politische Fehlentscheidung, wenn auch die einer abgewählten Regierung. Um die Begleichung ihres Teils der Kosten würde die grün-rote Landesregierung auf keinen Fall herumkommen – und das heißt in letzter Konsequenz: zahlen, also Steuergelder in die Hand nehmen.

Was das Volk einfach zu schlucken hat

Auf Kretschmanns Sprechzettel für diesen Fall muss dann nur noch stehen, dass man es so gewollt und dass das Volk dieses Ergebnis deshalb zu schlucken habe. Angela Merkel macht es ja nicht anders. Der Bankenrettungsfonds und der Eurorettungsfonds können deshalb für Kretschmann gerne als Argumentationshilfe herhalten, sofern er sich den Zusatz „alternativlos“ verkneift. Zufriedenstellen wird er seine Landeskinder damit allerdings nicht, aber eine andere Wahl hätte er auch nicht. Hat er kein anderes Vorzeigeprojekt in der Legislaturperiode vorzuweisen, könnte Grün-Rot die Quittung am nächsten Wahltermin bekommen: Das Volk hat dann nicht den Bahnhof tiefergelegt, sondern die Regierung. Sprich: wieder in die Opposition geschickt.

Kretschmann ist in einem Dilemma gefangen. Er ist Katholik und ein glaubwürdiger Vertreter konservativer Werte, und er hat es geschafft, den Protest mit seinem christlichen Glauben auf eine Ebene zu bringen. Das ist aber in seiner neuen Rolle als Ministerpräsident Sprengstoff in den eigenen Händen. Ob Stuttgart 21 gebaut wird oder nicht: Die Wut der Bürger wird sich legen, die Hoffnung der Protestierer in einen Heilsbringer nicht. Sie werden ihn immer daran erinnern, selbst wenn sie sich mit dem Ergebnis abgefunden haben. Das ist der Fluch, wenn der gute Wille zur Tat wird.

„Ich bin zuerst dem Land verpflichtet und erst dann irgendwann meiner Partei“, hat Kretschmann sehr weitsichtig am Wahlabend gesagt. Das ist sicher ehrlich, nett und schön, wird aber nicht reichen. Er wird Kante zeigen und lernen müssen, Niederlagen in Siege umzudeuten. Und er wird glaubhaft darlegen müssen, wenn ihm die Umdeutung nicht gelingt, die Niederlage als Selbstverständlichkeit jedes – und damit auch seines – politischen Tuns zu verkaufen.

Lady Astor, eine hochmögende Dame in den besseren britischen Kreisen, sagte einmal zum Whisky-trinkfreudigen Winston Churchill: „Sir, wenn Sie mein Mann wären, würde ich diesen Drink vergiften.“ Der zutiefst unsportliche Churchill parierte den Angriff sportlich: „Madam, wenn Sie meine Frau wären, würde ich das Glas sofort austrinken.“

Einen Hauch von Winston Churchill muss sich Winfried Kretschmann noch antrainieren. Allein des Überlebens willen.