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Archiv-Artikel

Europäische Grenzen werden abgedichtet

Für das beginnende Frühjahr werden neue Flüchtlingsströme erwartet. Die EU will die „illegale Einwanderung“ bekämpfen. Menschenrechtsorganisationen beklagen fehlendes Konzept für ein faires Flüchtlingsverfahren

Flüchtlings- und Migrationspolitik werden in der EU nicht klar genug getrennt

BERLIN taz ■ Über 30.000 afrikanische Flüchtlinge strandeten im vergangenen Jahr allein an den Küsten der Kanarischen Inseln. Auch für dieses Jahr werden neue Flüchtlingsströme erwartet. „Spätestens im Frühjahr dieses Jahres werden wir uns wieder mit stärker werdenden Migrationsbewegungen über das Meer in Richtung Europa konfrontiert sehen“, erklärte auch Innenminister Wolfgang Schäuble anlässlich einer Veranstaltung der EU-Grenzschutzagentur Frontex in dieser Woche. Unbestritten sind die Flüchtlingsströme nicht nur für die Mittelmeeranrainer eine Herausforderung, sondern auch für die gesamte EU.

In der am Wochenende verabschiedeten „Berliner Erklärung“ wurde in letzter Sekunde ein Passus zu illegaler Einwanderung eingefügt: „Wir werden den Terrorismus, die organisierte Kriminalität und die illegale Einwanderung gemeinsam bekämpfen.“ Bereits auf ihrem letzten Treffen verständigten sich die EU-Innenminister auf eine gemeinsame Strategie: Dazu gehören verbesserte Grenzsicherung, mehr Entwicklungshilfe für die Herkunftsländer und gezielte Einwanderung von Arbeitskräften. Kritik daran kommt vor allem von Menschenrechtsorganisationen: Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik würden nicht klar voneinander getrennt, so etwa Bernd Mesovic, der zuständige Sprecher von Pro Asyl.

Besonderes Augenmerk der Politik gilt derzeit offenbar der Grenzsicherung. „Wir müssen gemeinsam gegen die starke illegale Migration an den südlichen Grenzen der EU vorgehen“, forderte Schäuble. Bis zur nächsten Innenministertagung im April will die deutsche Ratspräsidentschaft eine Verordnung zur Grenzsicherung auf den Weg bringen: Im Rahmen von Frontex sollen internationale Soforteinsatzteams gebildet werden, die dann – je nach Bedarf – an den Grenzen eingesetzt werden könnten. Das Budget für Frontex wurde seit der Gründung im Oktober 2005 massiv aufgestockt. Verfügte die Grenzschutz-Agentur im letzten Jahr über 11,7 Millionen Euro, sollen es dieses Jahr rund 35 Millionen Euro sein.

Neben der Grenzsicherung setzt EU-Innenkommissar Franco Frattini auf eine verstärkte Entwicklungszusammenarbeit. So könnten Fluchtursachen beseitigt werden, sagte er kürzlich. Als „Gegenleistung“ sollten sich die Herkunftsländer allerdings verpflichten, Flüchtlinge „zurückzunehmen“. Nach Ansicht Frattinis könnte dies in gegenseitigen Partnerschaftsabkommen vereinbart werden. Auch dafür gibt es wenig Anerkennung von den Menschenrechtsorganisationen: Ein Referent von amnesty international bezeichnete die Pläne für mehr Entwicklungshilfe lediglich als „hehre Ziele“: In manchen Ländern seien sogar die Rücküberweisungen von Familienmitgliedern, die in Europa arbeiteten, höher als die Entwicklungshilfe.

Nach Frattinis Vorstellungen sollen die Partnerschaftsabkommen zudem Visaerleichterungen für Studenten, Forscher und Geschäftsleute sowie eine begrenzte Öffnung des europäischen Arbeitsmarktes umfassen. Ein Punkt, der vor allem bei Pro Asyl auf Kritik stößt: Laut Genfer Flüchtlingskommission habe die EU die Verpflichtung, sich um Flüchtlinge zu kümmern. Stattdessen würde eine „gewisse Akzentuierung“ betrieben, wen man hineinließe und wen nicht, erklärte Mesovic.

Zusammengefasst könnte man die Strategie der EU so umschreiben: Einerseits sollen die Grenzen bestmöglich gesichert und andererseits die Ursachen für Flüchtlingsströme in den Herkunftsländern durch Entwicklungshilfe abgeschwächt werden. Zudem will man legale Arbeitsmigration in die Staaten der EU fördern. Amnesty und Pro Asyl kritisieren vor allem fehlende Aussagen zu einer wirklichen Flüchtlingspolitik. Mesovic dazu: Gerade politische Flüchtlinge brauchten ein faires Verfahren und „nicht einfach Rückverfrachtung“.

NICOLE MESSMER