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Archiv-Artikel

Polizist bastelt sich Rechtsgrundlage

Im Berufungsverfahren um einen dubiosen Polizeieinsatz plädiert das Landgericht dafür, die Akten schnell zu schließen. Die Anwältin Ursula Ehrhardt hatte sich gegen das Eindringen von Beamten in ihre Wohnung gewehrt

In solcher Deutlichkeit pflegt ein Richter am Landgericht am ersten Prozesstag eigentlich nicht die Beteiligten zurechtzuweisen: Er habe, so Richter Borwitzky, bei der Vernehmung des ersten Polizeizeugen mal gedanklich aus der Ecke des Saals zugeschaut. „Die Menschen auf der Straße glauben es nicht, was wir hier tun“, konstatiert er entsetzt, „und was das kostet“. Er appelliere eindringlich an die Anklagebehörde, ihre Berufung gegen das Freispruch-Urteil zurückzunehmen.

Worum geht es: Am 15. August 2004 waren zwei Streifenwagen zu einer Ruhestörung nachts an den Hafenrand gerufen worden. Eine Anwohnerin hatte einen Flaschenwurf gemeldet. Die Frau erklärte den vier BeamtInnen, dass sie nicht wisse, woher die Flasche geworfen worden sei. Sie habe nur ein offenes Fenster gesehen.

Für den Bereitschaftspolizisten Arndt B. war die Sache ohne weitere Anhaltspunkte dennoch sofort klar: Schnurstracks suchte B. mit seinen KollegInnen im Schlepptau die mutmaßliche Wohnung auf und klingelte an der Tür der Anwältin Ursula Ehrhardt. Diese befand sich aber eine Etage unter dem angegebenen Fenster.

Ehrhardt schlief. Die Polizisten zogen zunächst ab, wollten aber wenig später an ihrem Fenster einen Mann gesehen haben. Sie rückten erneut an, diesmal mit Drohgebärden. Als Ehrhardt ihre Wohnungstür öffnete, verlangten sie Einlass. Auf welcher Rechtsgrundlage sie das tun wollten, fragte die Strafverteidigerin. Keine konkrete Antwort. Als sie ihren Ausweis zwecks Personalienfeststellung holen und dabei die Tür schließen wollte, stellte B. seinen Fuß dazwischen. Die Polizisten stürmten die Wohnung. Als Ehrhardt sich wehrte, wurde sie überwältig, im Bademantel und Handschellen zur Wache gebracht. Ihr werden Widerstand und Körperverletzung vorgeworfen.

Was er in der Wohnung gewollt habe, fragen die Verteidiger Johannes Santen und Jan Mohr im Prozess den Polizisten B. „Beweismittelsicherung“, sagt er. Wofür? „Zwecks Strafverfolgung“. Auf welcher Grundlage? „Sicherheits- und Ordnungsgesetz“. Für die Strafverfolgung gilt jedoch die Strafprozessordnung. „Ruhestörung“, schiebt B. nach. „Ruhestörung ist keine Rechtsgrundlage“, greift Richter Borwitzky ein. „Versuchte fahrlässige Körperverletzung“, stammelt B. – den Paragrafen gibt es gar nicht. Warum er denn den Fuß in die Tür gestellt habe, wenn Ehrhardt doch ihren Ausweis holen wollte? „Sie hätte ja eine Pistole holen können“, sagt der Polizist. Und: „Es war nicht anders festzustellen, wer noch in der Wohnung ist.“

In erster Instanz ist Ursula Ehrhardt vom Amtsgericht Altona freigesprochen worden. Der Amtsrichter wollte zwar das Eindringen in die Wohnung nicht grundsätzlich für rechtswidrig erklären, die Ermessensentscheidung sei jedoch „falsch“ gewesen, so dass Ehrhardt ein „Notwehrrecht“ gehabt habe. Ob der Prozess morgen fortgesetzt wird, entscheidet sich heute Nachmittag. KAI VON APPEN