Zweimal die Sechziger

In der Ausstellung „Das Kapital“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst treffen die reduzierten Minimalisten aus der neu angekauften Sammlung Ricke auf die Ikonen der hauseigenen Pop-Art

VON HORTENSE PISANO

Der erste Schlag muss sitzen. Zwölf Fleischerbeile stecken nebeneinander in der Wand des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK). Man kann sich zu gut vorstellen, wie die Hackebeile in einem Kraftakt in die Ausstellungswand getrieben wurden. Einige Partikel weiße Farbe liegen am Boden – Restspuren jener Aktion, ausgeführt nach einer Zeichnung Barry Le Vas (1969/70). Tatsächlich wandte man einen kleinen Trick an und installierte ins MMK eine Wand aus Rigipsplatten, die zwölf Mal durchstoßen wurden. Was zählt, ist die Sicht des Betrachters. Ihn gilt es hier, jetzt und direkt zu attackieren. Le Vas „Cleaved Wall“ steht synonym für das Bestreben der 60er-Jahre-Konzeptkunst, den künstlerischen Prozess näher an den Rezipienten zu rücken.

Der Galerist Rolf Ricke war in Amerika auf Le Va aufmerksam geworden und stellte ihn bereits 1970 in Köln aus. Ricke hat den Transfer der frühen US-Konzeptkunst denn auch in Deutschland maßgeblich vorangetrieben. 1965 reist er erst mal nach New York und erlebt „die Entstehung einer neuen Kunstrichtung“. 1968 eröffnete er in Köln seine Galerie. In 40 Jahren sammelte er über 150 Werke vorwiegend amerikanische Kunst von Jo Baer, Dan Flavin, Donald Judd, Richard Serra bis zu Steven Parrino. Von Le Va erwarb Ricke Schlüsselwerke wie jene Zeichnung zu den „Layered Pattern Acts“, aufeinander gestapelte, zerstörte Glasplatten. Obwohl sich die Arbeiten der Kategorie von Kunst als Ware entzieht, avancierten sie ironischerweise doch zum Sammlungsobjekt.

Als wichtigsten Neuerwerb seit Gründung des Hauses bezeichnete das MMK Frankfurt den Ankauf der Sammlung Ricke im November 2006. Die am Freitag eröffnete erste Präsentation, eine Kombination aus hauseigenen Sammlungsexponaten und 64 Werken Rickes, erwies sich als eine Neuorientierung des Pop-Museums in Richtung Konzeptkunst. Dass Le Vas „Cleaved Wall“ als einprägsames Hackebeil darüber hinaus auch Motiv der Einladungskarte wurde, könnte bildlich für jenen Kraftakt stehen, den das MMK seit 2005 bewältige. Damals zog Privatsammler Dieter Bock, vermutlich aus spekulativen Interessen, 500 vermeintliche Dauerleihgaben aus dem Museum ab. Für den Direktor Udo Kittelmann ein Desaster. Ein ähnliches Hickhack erlebte Lucius Grisebach, Direktor des Neuen Museums in Nürnberg seinerseits mit der Sammlung Ricke. Unter dem Titel „Einfach Kunst“ stellte sein Museum 2002 die Werke erstmals umfangreich aus. Drei Jahre später forderten die neuen Eigentümer, die Cologne Art Investment Ltd., 5,8 Millionen Euro als Ankaufsumme für die zu musealen Ehren gekommene Sammlung. Einen Preis, den der verstimmte Grisebach nicht zahlen wollte.

Ein Drittel dieser Sammlungsexponate konnte Kittelmann nun im November für das MMK sichern, was er einen „Glückfall“ nennt. Erstmals teilen sich drei Museen – MMK, Kunstmuseum Liechtenstein und St. Gallen – die für 4,5 Mill. Euro erworbene Sammlung. 1,8 Millionen Euro stifteten die Hessische Kulturstiftung, Stadt und Mäzene dem MMK. Kittelmann wird nicht müde zu betonen: „Das Kapital eines Museums ist seine Sammlung.“ 5,8 Millionen Mark habe die Stadt für die Pop-Art-Werke der Sammlung Ströher 1981 bezahlt. „Heute ist sie viele Millionen Euro Wert“. Auch die Ricke-Sammlung wird in den nächsten Jahren einen ideellen wie materiellen Mehrwert erfahren. Zumal der Ausstellungsdiskurs die 60er-Jahre-Konzeptkunst gerade wiederentdeckt.

Die Neupräsentation „Das Kapital. Blue Chips & Masterpieces“ im MMK spielt im Titel auf die zunehmend schwieriger werdende Rolle an, die den Museen im Widerstreit zwischen Kunst und Kommerz zufällt. Bollingers Installation „Red Hook“ (Sammlung Ricke, jetzt MMK) macht die Diskrepanz zwischen kommerziellen und kreativen Aspekten von Kunst in aller Kürze deutlich. Vier Stahltonnen, die Bollinger 1970 im New Yorker Hafenviertel Queens fand, stehen gefüllt mit Öl und Schläuchen im MMK. Spröde und trotz der Rostflecken wirken die Fundstücke erfreulich unverbraucht. Man kommt an ihnen nicht vorbei. Auch Bollingers „Pipe“ (1968), ein zwei Meter langes gebogenes Aluminiumrohr, legt sich einem widerspenstig in den Weg. In diesem ästhetischen Entzug liegt die Schlagkraft der Konzeptkunst und im Gegenüber der Pop-Art wird dies im MMK deutlich.

Blinky Palermo, Gerhard Richter und Lee Lozano machen mit abstrakten Werken im Erdgeschoss den Auftakt. Richters gemaltes Bild „Alpen“ (1969) gilt am Kunstmarkt als hoch gehandeltes „Blue Chip und Masterpiece“. Der wenig bekannte Bollinger und Charlotte Posenenskes Stahlskulpturen vermitteln im Nebenraum formale Strenge. Da ist nichts mit leichter Konsumierbarkeit, wie sie John Chamberlains locker umwickelte Schaumstoffskulptur „Funburn“ dem Betrachter anbietet. Grenzte Kunstkritiker Michael Fried 1967 in seinem Artikel „Art and Objecthood“ die Minimal Art explizit von der Pop-Art ab, wird die Trennung im MMK zugunsten thematischer Räume aufgehoben. Andy Warhols Siebdruck „White Desaster“ hängt in einem Raum mit Donald Judds Aluminiumbox (Kunstmuseum Liechtenstein) und Bruce Naumans Video „Flesh to White to Black to Flesh“. Der Purist der Minimal Art, Judd, wird hier mit dem Einbruch des Performativen, dem Körper konfrontiert. Man beobachtet, wie Nauman in dieser Videoperformance Gesicht und Körper zuerst weiß, dann mit schwarzer Farbe eincremt. 1968, im Jahr der Rassenunruhen, stellte Naumans Selbstinszenierung die Frage nach Zugehörigkeit und Identität in Amerika. Bunt wird es dann ein Stockwerk höher: In Carl Ostendarps ausgemalten Eckraum dürfen die Stars der Pop-Art in einem rosa Bubble-Farbrausch schwelgen.

Bis unters Dach versammelt „Das Kapital“ hundert wichtige Werke von Konzept- , Minimalkunst sowie Pop-Art, flankiert durch aktuelle Positionen. Ganz wollte man die gesellschaftskritische Kunst nicht aussparen. Walter de Marias Film „Hard Core“ etwa parodiert wunderbar die Cowboymentalität des „Wilden Westen“. Naumans Videoskulptur „Perfect Balance“ oder Larry Clarks Fotodokument „Tulsa“ über Freunde, Drogen, Sex und Waffen zeigen hautnah die Gewalt am menschlichen Körper. Die neu hinzugekommenen Ricke-Werke bleiben deutlich auf formale Inhalte reduziert. Dazu sagte Judd einst: „Wir wollten die Sachen loswerden, von denen andere früher dachten, dass sie das Wesentliche der Kunst sind.“

bis 26. August