Schön überkandidelt

NACHRUF Zum Tod der britischen Singer-Songwriterin Lynsey de Paul

Drei, vier stumpfe Schläge auf dem Klavier, um, mit perlenden Tönen, in eine irritierend souveräne Hymne des Begehrens zu gleiten: „Sugar Me“ war selbst für die flamboyanten Standards des Pop im Jahre 1972 ein ungewöhnliches Lied. Und wie seine Sängerin aussah, Lynsey de Paul, Spross aus jüdischer Familie, geboren in Southwark London, aufgewachsen in Cricklewood – und immer die in der City pulsierende Popkultur im Blick: Diese junge Frau wollte Teil dieses Zeitalters sein, nicht als Anhängsel von Big Names im Gewerbe, nicht als „Frau von ?“, sondern als weibliche Künstlerin schlechthin.

Lynsey de Paul war die erfolgreichste Singer-Songwriterin ihrer Ära auf der Insel – allerdings vertonte sie keinen (persönlichen, politischen) Weltschmerz wie Carole King, Laura Nyro oder Carly Simon in den USA, sondern die Aufbrüche ins Leben, den Glamour der Nacht, die quietschige Vergnügtheit von Partys und deren Abstürze. Mit „Rock Bottom“ erreichte sie beim ESC 1977 (mit Mike Moran) den zweiten Platz. Ihr schönstes Lied vielleicht war das pompöse „Ooh I Do“ mit der kecken, absolut nicht aufs Opferdasein getönten Zeile: „It’s so hard to be a teenager?“ (Pause) „in love“ – um dann mit dröhnender Wucht ins Leben zu stürzen.

Sie blieb als Produzentin und TV-Figur im Geschäft, litt eher gering an der Kritik, die ihr ihr „Yes“ für Margret Thatcher Anfang der Achtziger eintrug. Am 1. Oktober wurde sie mit einer Gehirnblutung ins Spital gebracht, am gleichen Tag starb sie im Alter von 66 Jahren. Eine ihrer Nichten schrieb: „Sie war Vegetarierin, sie rauchte nicht, trank nicht – wir sind fassungslos.“ JAF