Von der Absurdität der Giftspritze

CRIME SCENE Genial verdreht und absolut noir: Jim Nisbet „Tödliche Injektion“

Wenn je ein Crime-Roman das Etikett „noir“ verdient hat, dann ist es dieser. Jim Nisbets „Tödliche Injektion“, erstmals 1989 auf Deutsch, jetzt in neuer Übersetzung noch einmal erschienen, sollte unter allen Umständen als Klassiker betrachtet werden. Er umspielt sein todernstes Thema, die Fragwürdigkeit (und in der Konsequenz die Ablehnung) der Todesstrafe, mit einer Mixtur aus abgefeimtem Zynismus, herzzerreißendem Melodram und absurd orientiertem Humor, die gelinde gesagt außergewöhnlich ist. Hell wird es in diesem Roman nie. Vor dem inneren Leseauge sieht man die Handlung bestenfalls in einer Art Dämmerlicht ihrem schicksalhaften Ende entgegentaumeln; Dunkel ist die Farbe der Stunde.

Und bereits der erste Satz ist einer, um den der Autor möglicherweise von manchem Kollegen beneidet wird. „Den Geistlichen plagten ein Schnupfen und Zweifel an seiner sexuellen Identität“, heißt es da, was eine unmittelbare Neugier anfacht, die niemals befriedigt werden wird, denn erwähntes Priesterlein wird lediglich in den ersten drei Kapiteln eine unauffällige Nebenrolle spielen und aus dem Roman verschwinden, ohne dass die Frage seiner sexuellen Identität jemals geklärt würde. Die stellt sich angesichts der Ereignisse in diesen ersten drei Kapiteln auch bald nicht mehr, da in diesem fulminanten Einstieg eine Hinrichtung durch die Giftspritze geschildert wird, die unter sehr aufsehenerregenden Umständen vor sich geht.

Eine der Hauptfiguren dieses Romans ist somit ziemlich gleich zu Beginn tot. Und wer damit nicht fertig wird, ist der Arzt Franklin Royce, der anwesend war, um dafür zu sorgen, dass der Verurteilte während der Hinrichtung nicht unnötig leiden musste.

Royce hat sich als Gefängnisarzt auf Honorarbasis verdingt, um seiner paranoiden, hysterischen Ehefrau den Lebensstandard bieten zu können, den er sich mit dem, was seine Praxis einbringt – als Alkoholiker betreibt er sie nur mehr unregelmäßig –, nicht mehr leisten kann. Die Hinrichtung, der er beiwohnt, ist für ihn die erste. Er verlässt sie mit der Überzeugung, dass der getötete Bobby Mencken unschuldig war, und besorgt sich dessen Gefangenenakte. Den Hinweisen, die er dort findet, folgt Royce zu einer Adresse in Dallas und kommt in Kontakt mit den engsten Bezugspersonen des Verstorbenen. Die Exfreundin von Bobby, eine verwüstete, doch immer noch bestrickend schöne Drogenhure mit Namen Colleen, zieht ihn umgehend in ihren Bann, ganz anders als ihr angsteinflößender Mitbewohner und neuer Liebhaber, der Fast Eddy genannt wird und Royce einer schmerzhaften Begrüßungsprozedur unterzieht.

Im Folgenden ist man zwar auf alles gefasst, und doch wird man von den kleinen Wendungen, die die Handlung bis zu ihrem einer griechischen Tragödie würdigen Finale vollzieht, immer wieder unvorbereitet erwischt. Wie der bis dato unbescholtene Arzt sich zum Handlanger bei einem geplanten Verbrechen machen lässt, wie er bedingungslos den Verlockungen des Weiblichen erliegt, wie er, der doch gerade Zeuge der Hinrichtung eines Unschuldigen war, selbst einen Menschen tötet, in dem Glauben, ihn damit seiner gerechten Strafe zuzuführen, das alles erzählt Nisbet in einer Weise, die nach außen eine ungerührte erzählerische Lakonie pflegt, während dicht unter der Oberfläche der dramatischen Geschehnisse oft eine eigenartige Situationskomik auf der Lauer liegt, ohne jemals offen aufzutrumpfen.

Dafür ist ja auch alles viel zu schlimm hier. Ein genial verdrehtes Ding von einem Buch. Und dabei absolutely noir.

KATHARINA GRANZIN

Jim Nisbet: „Tödliche Injektion“. Aus dem Englischen von Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2010. 232 Seiten, 12,80 Euro