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Archiv-Artikel

Amazonen mit Mistgabel

Im Bauhaus-Archiv wird getanzt. Fotografien erinnern an die Schule Loheland, die neben Ausdruckstanz und Gymnastik auch das Weben und Flechten lehrte und eigene Felder bestellte. Ein Aufbruch wie am Bauhaus, nur diesmal von der Rhön

VON ANNE HAEMING

Die Bilder erinnern an die Pferdegalopp-Studien von Eadweard Muybridge – nur sind es diesmal Frauen, die über Felder in die Luft springen, hintereinander, einmal höher, einmal etwas tiefer, aber immer kerzengerade. Die kurzen weißen Röcke hüpfen kräuselnd, Beine und Füße sind nackt. Momentaufnahmen, die Bewegungen in Schwarzweiß nachzeichnen.

Die Frauen in Bewegung stehen im Zentrum der Ausstellung „Fotografien einer neuen Generation Weib“ im Bauhaus-Archiv. Die Bilder aus der „Lichtbildwerkstatt Loheland“ sind weitgehend unbeachtete Dokumente einer Ära des Aufbruchs. Die Fotowerkstatt war Teil der speziell für Frauen errichteten Loheland-Schule für Ausdruckstanz und Gymnastik, mit eigener Weberei, Drechslerei bis hin zum Gartenbaulehrbetrieb – eine gelebte Frauenutopie in der Rhön. Ihr Aufbau begann 1919, im selben Jahr wie die Gründung des Bauhauses. Immer mit dabei: der Fotoapparat.

Fotografie war für die Loheländerinnen zweierlei: Dokument von Tanzgebärden einerseits, andererseits ein strategisches Werbemittel für die Poster, mit denen sie ihre Fortbildungen für Gymnastiklehrerinnen bewarben. In der Dunkelkammer entstanden die Sprungbilder mit den Mitteln der Montage: Dieselbe Aufnahme wurde wieder und wieder in das eine Landschaftsbild gebaut.

Doch es blieben auch Vorbehalte gegenüber dem Medium: Fotos seien „spröde“ und ein „wenig schätzbares Surrogat“ der Realität, befanden die Gründerinnen Louise Langgaard und Hedwig von Rohden. Dennoch entstanden an ihrer Schule auch die ersten Fotogramme, die analogste Form der Fotografie, für eine direkte Abbildung der Natur genutzt. Blüten, Blätter, Objekte werden hier direkt auf Fotopapier gelegt, je nach Lichtdurchlässigkeit schreiben sie ihre Spuren direkt ins Papier ein. 14 Arbeiten von Bertha Günther zeigen zarte Hortensienblättchen, amöbenhafte Lichtfährten. Der Bauhäusler László Moholy-Nagy rühmte die Loheländerin als Mit-Erfinderin dieser Technik, mit der auch er selbst in die Fotografie-Geschichte einzog.

Schon die Montagen zeigen: Mehr als das authentische Moment zählte an der Schule die grafische Aussagekraft, Betonungen mit Kreisen, Rechtecken, Streifen, Symmetrien. Ihre Werbeplakate könnten auch in der Bauhaus-Dauerausstellung nebenan hängen. Zu ihrer Ästhetik und ihrem Arbeitsethos gehört, dass die Kleider, Hemden und Hosen der Tänzerinnen schlicht und gerade sind, die Schnitte stets darauf ausgelegt, die Bewegungen des Körpers zu betonen oder schwingend nachzuzeichnen: auf dass selbst im fotografischen Stillstand das dynamische Potenzial zu erahnen ist.

Fotos, Tanz, Werbegrafiken, Kleidung – alles war Teil eines ganzheitlichen Konzeptes: Die Stoffe webten die Frauen selbst, sie flochten Körbe, die Felder auf den Fotos gehörten zum landwirtschaftlichen Betrieb. Das erlaubte den Seminarteilnehmerinnen und den angestellten Loheländerinnen wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Mit ihren Pagenköpfen und der barfüßigen Tatkräftigkeit entsprachen sie selbst Anfang der 30er-Jahre, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise und dem Erstarken der NSDAP, noch dem Bild der nassforschen „Neuen Frau“ der Goldenen Zwanziger. Die Schule überdauerte das Dritte Reich unauffällig; man arrangierte sich, integrierte „nationalsozialistische Lehrinhalte“, wie der Frankfurter Kulturwissenschaftler Eckhardt Köhn es formuliert. Das führte zum Bruch zwischen den Gründerinnen von Rohden und Langgaard – Letztere blieb und führte die Schule bis zu ihrem Tod 1974. Auf diese Zeit allerdings geht die Ausstellung kaum ein.

Stattdessen kommt mit der inhaltlichen Vielschichtigkeit des Loheland-Projekts eine gewisse Unentschiedenheit in die Ausstellung: Neben den Tanzbildern stehen Vitrinen mit Körben, Holzschalen und handgewebten Streifenstoffen. Und dass die Doggenzucht van Rohdens mit zehn eher belanglosen Fotos gewürdigt wird, ist mehr als überflüssig.

Zugegeben: Lässt man die Doggen einmal außen vor, finden sich Echos der Tanzdrehungen in den Fotos von wirbelnden Töpferscheiben und fließenden Korbrundungen. Die Bewegungsabläufe hallen wider in den Dokumentationen von wachsendem Salat. Und ob die Frauen amazonenhaft Speere schwingen, Schaufeln oder Mistgabeln – letztlich wirkt alles wie eine zufällige Choreografie des Augenblicks.

„Lichtbildwerkstatt Loheland: Fotografien einer neuen Generation Weib“. Bauhaus-Archiv, täglich außer Dienstag 10.00 bis 17.00 Uhr, bis 9. Juli