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Archiv-Artikel

Warten aufs Leben

Nach fünf Jahren musikalischer Abstinenz präsentiert der Ex-Dorfpunk, Clubbetreiber, Schauspieler, Autor und Musiker Rocko Schamoni mit seiner Band „Little Machine“ ein neues Album – zum letzten Mal. Vielleicht…

Dass man das beschauliche Lütjenburg im Kreis Plön in kultureller Hinsicht nicht unterschätzen sollte, hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts der Biologe, Lehrer und Reformpädagoge Friedrich Junge deutlich gemacht. Dessen 1885 erschienenes Hauptwerk „Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft nebst einer Abhandlung über Ziel und Verfahren des naturgeschichtlichen Unterrichts“, in dem Junge sich zugunsten praktischer Anschauung und des Erkennens von Zusammenhängen gegen reines Auswendiglernen von Fakten wandte, gilt heute als Klassiker der naturwissenschaftlichen Pädagogik. Lange galt der 1905 gestorbene Junge deswegen als bekanntester Lütjenburger aller Zeiten.

Heute jedoch machen ihm zwei Künstler den Titel streitig, obwohl man zugestehen muss, dass auch Hamburg in deren Leben und Schaffen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Denn seit den 90ern wirken beide vornehmlich in der großen Stadt. Ebenfalls hier lässt sich beider Werk heute begutachten. Dem Maler und „Buback“-Labelchef Daniel Richter, 1962 in Eutin geboren und in Lütjenburg aufgewachsen, widmet die Kunsthalle seit einer Woche eine große Retrospektive. Und im Gruenspan wird Tobias Albrecht aka Rocko Schamoni aka King Rocko Schamoni aka Bims Brohm aka IBM Citystar etc., geboren vor 40 Jahren und zwei Tagen in Lütjenburg und aufgewachsen im benachbarten Vogelsdorf, zusammen mit seiner Band „Little Machine“ heute Abend sein aktuelles Album „Rocko Schamoni & Little Machine“ präsentieren.

Lütjenburg also. Hier wurde Anfang der 80er Jahre aus Tobias Albrecht Rocko Schamoni, der erste Punk der Stadt, Mitglied einer Fun-Punk-Band mit ordentlichen Punkbandnamen – erst „Warhead“, dann „Public Enemy“ und schließlich „Die Götter“ – und Herausgeber des Fanzines „Bitte einmal Pissscheiße“. Was diese Zeit für Rocko bedeutet, lässt sich seinem zweiten Roman „Dorfpunks“ entnehmen: „Es war traumhaft schön.“

Dann folgt aber doch der Umzug in die große Stadt, in der der ehemalige Dorfpunk zur Institution stilsicherer Verweigerung wird: mit der „Nordsee ist Mordsee“-Hommage „Rollo Aller“, als Schlagerentertainer auf Tourneen mit den „Goldenen Zitronen“ und den „Toten Hosen“ – deren Campino bis heute den von Schamoni gefertigten Punkausweis im Portemonnaie herumtragen soll –, als Besitzer des Golden Pudel Clubs, musikalisch und schauspielerisch im Schauspielhaus, als psychedelischer Humorist bei „Studio Braun“, mit den Romanen „Risiko des Ruhms“, „Dorfpunks“ und „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“.

Und nun also nach fünf Jahren eine neue Platte, nach Eigenaussage die beste, „die uns unser Wissen, unsere Erfahrung und unser Alter schenken konnte“. Und fürwahr, der Mann, der für „Blumfeld“s Jochen Distelmeyer „für immer der King sein“ wird, zeigt sich nicht nur musikalisch gereift. Nicht so wie diese „Jugendlichen“ mit den Army-Klamotten und Irokesenhaarschnitten: „Seid ihr Punks, oder was?“ Schamoni weiß längst, dass er eingesperrt ist, sucht sein richtiges Leben nicht in einer falschen Welt. Denn das „Leben ist nur Schein“, wüssten das nur auch die anderen: Aber die sind „Zu dumm, um frei zu sein“ und haben auch nicht verstanden, dass Leben Sterben lernen heißt, dass es bedeutet, sich zu entfernen und aufzugeben.

Hartnäckig hält sich übrigens das Gerücht, Rocko habe sich dem musikalischen Ausdruck zum letzten Mal zugewandt. Vielleicht. Andererseits lernen wir auf „Rocko Schamoni & Little Machine“: „Wir sind Maschinen, geboren zum Leben. Wir leben nach Mustern, ewigen Mustern. Wir suchen nach Wegen, nach eigenen Spuren. Und bilden uns ein, wir könnten entscheiden.“ Eben.ROBERT MATTHIES

Do, 10. 5., 20 Uhr, Grünspan, Große Freiheit 58