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Archiv-Artikel

Explosion der Gewalt unter dem Vulkan

Der Osten der Demokratischen Republik Kongo findet nicht zum Frieden. Mysteriöse Morde erschüttern die Provinzhauptstadt Goma, im Umland treibt ein Krieg gegen Milizen die Menschen in die Flucht. Das Vertrauen in den Friedensprozess ist weg

AUS GOMA DOMINIC JOHNSON

Leopold war schon fast zu Hause, als sechs Männer in Zivil versuchten, ihm den Schädel einzuschlagen. Direkt vor der Einfahrt zu seinem Haus umringten sie das Auto des Verwaltungschefs einer lokalen Nichtregierungsorganisation, zerschlugen die Fenster und traktierten ihn mit kantigen Steinen aus erkalteter vulkanischer Lava, bis er blutüberströmt zusammenbrach. Wochenlang litt Leopold danach unter seinen schweren Kopfverletzungen, und heute wagt er sich nur noch selten nach Einbruch der Dunkelheit nach draußen.

Brutale Überfälle in Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo sind Alltag geworden. Sobald die Sonne untergeht, leeren sich wie zu Kriegszeiten die Straßen im Zentrum der 500.000 Einwohner zählenden einstigen Rebellenhauptstadt, seit dem Vulkanausbruch von 2002 eine seltsame Mischung aus Lavawüste und planlos auf die Felsen gestellten Edelvillen.

„Kabila ist ein Ruander“

In der Feierabendkneipe tauschen Stammgäste Gewaltnachrichten aus: ein erschossener Priester, ein um sein Handy erleichterter Student, ein überfallener Kleinbus. „Wenn du bis 18 Uhr nicht da bist, wo du sein willst“, erklärt einer, „bleibe bis 23 Uhr da, wo du bist. Dann kann man sich wieder bewegen.“

Immer öfter erlebt Goma Proteste gegen die Gewalt. Mal versucht ein wütender Demonstrationszug, eine Leiche vor dem Haus des Provinzgouverneurs abzulegen. Mal blockieren Studenten die Straßen mit brennenden Reifen. Anfang dieser Woche trugen sie den vierten getöteten Studenten innerhalb kurzer Zeit zu Grabe und legten Goma komplett lahm. Sie sangen Parolen wie „Kabila ist ein Ruander“ oder „Bemba, rette uns!“ Die Leute trauen niemandem: weder der Regierung noch der Armee, noch Angehörigen anderer ethnischer Gruppen und schon gar nicht der UNO, deren Blauhelmsoldaten aus Indien und Südafrika in Goma Patrouille fahren.

Die UN-Mission in Goma vermutet hinter der Gewalt unbezahlte Soldaten der Regierungsarmee. Ende letzten Jahres waren Regierungseinheiten aus anderen Teilen Ostkongos nach Goma verlegt worden, um von dort aus den mächtigen ruandischstämmigen Rebellenführer Laurent Nkunda zu vertreiben. Der hat seine Hochburgen in den Masisi-Bergen, die 30 Kilometer westlich von Goma in den Himmel aufsteigen. Nkunda schlug die Regierungsoffensive zurück.

Die neuen Soldaten blieben in Goma sich selbst überlassen. Die Rebellen hingegen gingen aus dem Konflikt siegreich hervor. Unter Vermittlung Ruandas schlossen Nkunda und Kongos Armeeführung Frieden, seit Jahresanfang wurden aus Nkundas Rebellen und Teilen der Regierungsarmee fünf „gemischte Brigaden“ gebildet, die jetzt das Umland der Provinzhauptstadt Goma kontrollieren – Alpha, Bravo, Charlie, Delta und Echo.

Unbezahlte Soldaten

Kongos Regierung hat den Inhalt des Abkommens mit Nkunda nie publik gemacht, so dass die Menschen keine Ahnung haben, wieso im Rahmen des „mixage“ genannten Vermischungsprozesses die Rebellen jetzt überall herumlaufen statt wie früher nur in den Bergen. In Goma gehen Nkundas Offiziere in den Bars ein und aus. Viele Stadtbewohner sind überzeugt, dass die Brigade „Echo“ hinter der neuen Gewalt steckt, denn sie patrouilliert nachts als Militärpolizei.

Es ist aus einer Position der Stärke, dass Nkunda am Montag im Staatsrundfunk das Abkommen praktisch aufkündigte. Seine Soldaten in den „gemischten Brigaden“ würden nicht mehr bezahlt, erregte er sich. Die Regierung hätte zehn Tage Zeit, um die Situation zu bereinigen. Seither hat Goma Angst vor einem neuen, verheerenden Krieg.

Im Umland tobt der bereits. Nördlich von Goma starteten die „gemischten Brigaden“ am 26. April eine Großoffensive gegen ruandische Hutu-Milizen. Diese Nachfolgegruppen der für den Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 verantwortlichen Armee sind als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) organisiert. Sie kontrollieren in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu weite ländliche Gebiete und finanzieren sich über Handel. Besonders lukrativ in Rutshuru ist der Verkauf von gewildertem Nilpferdfleisch.

Verbrannte Erde

Krieg gegen die FDLR im Distrikt Rutshuru bedeutet eine Politik der verbrannten Erde. Die Milizen ziehen sich vor der Armee zurück, Soldaten plündern die Dörfer aus. Um die Distrikthauptstadt Rutshuru 80 Kilometer nördlich von Goma wuchern Vertriebenenlager im Schlamm der ergiebigsten Regenzeit seit Jahren die Berge hoch. Viele bauen sich feste Hütten, die Grundstückspreise haben sich verfünffacht. Das Umland von Rutshuru ist menschenleer, die Dörfer sind verlassen, die Felder werden nicht bestellt, es droht eine Nahrungsmittelkatastrophe.

Die neuen Flüchtlinge, deren Zahl keiner genau kennt, gesellen sich zu 113.000, die nach UN-Angaben bereits seit Januar vor den „gemischten Brigaden“ flohen. Insgesamt zählt Nord-Kivu über 600.000 Kriegsflüchtlinge.

In ihren Hochburgen in Masisi sorgen Nkundas Rebellen für Sicherheit – aber das Hutu-besiedelte Tiefland ist für sie Feindesland. Es scheint, als halte das Militär jetzt kollektiv die Hutu, die die Bevölkerungsmehrheit um Rutshuru bilden, für Kollaborateure der ruandischen Hutu-Milizen – eine gefährliche Ethnisierung des Konflikts.

Denn als zu Jahresbeginn in Nord-Kivu eine neue Provinzregierung gewählt wurde, verloren die Hutu die Macht. Der bisherige Gouverneur Eugène Serufuli, ein Hutu, musste seinen Posten zugunsten von Julien Paluku räumen, Vertreter des Nande-Volkes. Jetzt kontrollieren die Nande unter Paluku die Politik, die Tutsi unter Nkunda das Militär – die Hutu haben das Nachsehen. Versprengte Serufuli-Kämpfer können jetzt Instabilität schüren.

Die humanitäre Abteilung der UNO in Goma richtet sich auf das Schlimmste ein. Sie rechnet mit der Flucht von 300.000 Menschen in den nächsten sechs Monate, wenn der Krieg weitere Gebiete ergreift. Man werde sich bemühen, die Dauer ihrer Vertreibung möglichst kurz zu halten, heißt es dazu.