: Von China lernen
THEATER Am Schauspiel Hannover erzählt Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) in „Volksrepublik Volkswagen“, wie deutsche Manager mit der Effizienz der chinesischen Diktatur liebäugeln
In einer riesigen, auf der Bühne des Schauspiels Hannover detailliert nachgebauten VW-Werkshalle, inklusive Transportband, Maschinen und Büros, beobachten wir deutsche Manager, wie sie voller Überheblichkeit im Reich der Mitte ihre Arbeit beginnen. Viel gelacht haben die deutschen Ingenieure anfangs – über die chinesischen Autos zum Beispiel, die schon bei leichten Unfällen wie Tomaten zerplatzten.
Immer neue Unfallfotos klebt einer von ihnen an den Spind am Bühnenportal. „Ihr Chinesen könnt zwar Raketen ins All schießen, Autos bauen könnt ihr nicht“, stellt er zufrieden fest. Heute, fast dreißig Jahre nach Beginn des VW-Engagements in China, lacht dort niemand mehr.
Die Experten des Alltags, mit denen Rimini-Protokoll berühmt geworden ist, kommen diesmal nicht auf die Bühne. Regisseur Stefan Kaegis Text liegt zwar eine umfassende Recherche zugrunde. Aber auf der Bühne stehen Schauspieler. Aus dem dokumentarischen Material ist ein Abend mit fiktiven Charakteren geworden, die uns exemplarisch vor Augen führen, wie es den deutschen Ingenieuren in den letzten Jahrzehnten in China ergangen ist. Hunderte von Briefen, Texten und Blog-Einträgen hat Kaegi dafür ausgewertet, die ein höchst differenziertes Bild von VW in China zeigen.
Frei von lästigen Vorschriften
Während das Gros der Manager auf der Bühne ziemlich beeindruckt entdeckt, dass man in China frei von lästigen Vorschriften viel effizienter als in Deutschland arbeiten könne, dämmert anderen, dass das Leben in der Diktatur auch seine Schattenseiten hat. In geheimer Mission verfolgt eine Mitarbeiterin die Busse, mit denen Tausende von Leiharbeitern täglich in das chinesische Werk kommen. Vor den Toren der Metropole entdeckt sie eine Art Ghetto. Auf die Rückwand der Bühne werden Hochhäuser projiziert – in deren Balkons unzählige VW-Overalls hängen. Hier leben die sogenannten Landarbeiter – Menschen ohne Rechte, die in winzigen 8-Bett-Zimmern schlafen müssen. Menschen, deren Ausbeutung entscheidend mitverantwortlich ist für das gigantische chinesische Wirtschaftswachstum.
Als die Ingenieurin mit Gewissensbissen einen Vorgesetzten anspricht, kommt die Antwort des smarten Jungmanagers prompt. Das sind nur Zulieferer, mit denen haben wir nichts zu tun. Derselbe Manager richtet den Blick viel lieber auf den Parteitag der chinesischen Staatspartei, der auf der Bühne mit Videobildern der letzten VW-Aktionärsversammlung gegengeschnitten wird. Während das riesige blaue Konzernlogo von Bühnenarbeitern gegen das Parteiwappen ausgetauscht wird und auf der Leinwand Bilder von jubelnden Parteisoldaten zu sehen sind, überlegt der Manager neidisch: Sind wir bei VW nicht auch eine Art Volksrepublik, mit riesigen Werken, eigenen Schwimmbädern und Millionen Arbeitern?
Wo bleibt das Recht auf Streik?
Kein ganz abwegiger Vergleich ist das, wenn man sich den politischen und gesellschaftlichen Einfluss des Konzerns alleine in Niedersachsen ansieht. Nur: Wenn Wolfsburg die Kommunistische Partei ist, wo bleiben dann langfristig Deutschland und unser westliches Wertesystem, das Recht auf Streik, Gewerkschaften und Bewegungsfreiheit – und nicht zuletzt die Demokratie?
Komplexe Fragen, die dieser Abend in immer neuen szenischen Konstellationen verhandelt. Und das, ohne auf einfache Antworten und ideologische Scheinlösungen zu setzen. Mit seinen Schauspielern gelingt es Kaegi, die verschiedenen Positionen in der China-Politik des VW-Konzerns mit rudimentär-charakterisierten Figuren zu verknüpfen. Es bleibt natürlich Spekulation: Aber diese Methode der Scripted Reality eröffnet Möglichkeiten, die das rein dokumentarische Ausstellen nicht hat.
So erfindet Kaegi auch eine chinesische VW-Arbeiterin, die in Hannover lebt und per Video-Chat ihre Eindrücke aus Deutschland nach China übermittelt. Fast belustigt berichtet sie von seltsamen Dingen im Wirtschaftsland Deutschland wie „Feierabend“, „Urlaub“ und der unglaublichen Langsamkeit, mit der hier in kurzen 8-Stunden-Schichten gearbeitet werde. Schon ein simpler Antrag auf einen Internetanschluss bei der Deutschen Telekom dauere ewig. Bei dieser Geschwindigkeit, ist sich die junge Frau sicher, werde China irgendwann Deutschland überholen und lernen, die besseren Autos zu bauen. Spätestens dann brauchen die Chinesen keinen Volkswagen-Konzern als Partner mehr.
ALEXANDER KOHLMANN