: Euro rein, Gott raus
Das Entstehen der Berliner Erklärung zeigt, wie unterschiedlich die Erwartungen an die EU sind
AUS BERLIN NICOLE MESSMER
Die Latte für die Berliner Erklärung ist hoch gelegt. Sie soll nicht nur unter den 27 EU-Regierungen konsensfähig sein, sondern auch noch „die Bürger“ begeistern – „EU-Wir-Gefühl“ hat Angela Merkel das kürzlich genannt. Nur: EU-Dokumente haben normalerweise nicht den Ruf, Enthusiasmus verbreiten zu können. Oft sind sie schwer verständlich und für Nichteingeweihte sogar langweilig. Deshalb soll dieses Mal ein Ghostwriter her. Gehandelt wurde hierfür der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst. Beides wurde dementiert und sicher ist somit bisher nur eins: Die üblichen EU-Beamten werden es nicht sein.
Genauso geheimnisvoll wie der Verfasser der Berliner Erklärung ist gut zehn Tage vor der feierlichen Verabschiedung der Inhalt selbst. Bislang weiß kein Mensch genau, was in der Erklärung stehen wird. Ausgehandelt haben die einzelnen Bausteine der Erklärung die Vertreter der Bundesregierung und ihre europäischen Pendants, die so genannten Sherpas. Und die hüten sich davor, etwas davon preiszugeben, aus Angst, das Dokument könnte im Vorfeld zerredet werden. Die Forderung der Konferenz der Europaausschüsse (Cosac) vom vergangenen November, wenigstens die nationalen Parlamente und das Europaparlament einzubeziehen, verhallte ohne Wirkung. Selbst Parlamentarier geben an, keine Ahnung zu haben, was in dem Dokument genau drinstehen wird.
Und so ist dies für viele der Hauptkritikpunkt: Denn wie kann das Vertrauen der Europäer geweckt werden, wenn sie (wieder) nicht mitreden können? Der Europapolitiker Rainder Steenblock (Grüne) bezeichnet das Verfahren der Sherpa-Verhandlungen deshalb auch als „Geheimdiplomatie“ und glaubt nicht, dass die EU so ihren Herausforderungen gerecht werden kann. Auch sein Kollege Dieter Dehm (Linkspartei) plädiert für eine öffentliche Debatte: „Wenn man gute Karten hat, kann man auch beherzt unters Volk gehen.“
Einiges ist trotz aller Geheimhaltungsversuche durchgesickert: Zunächst hieß es, in der Berliner Erklärung sollten weder das Schengener Abkommen noch der Euro als große europäische Projekte gewürdigt werden, unter anderem die Briten sprachen sich dagegen aus. Polen wiederum machte sich stark für die Erwähnung christlicher Werte. Über die Bedeutung einzelner Aspekte herrschen höchst unterschiedliche Meinungen und so zeigt sich, dass die 27 Staaten ganz unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welches die größten Errungenschaften und Herausforderungen der EU sind. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Matthias Wissmann (CDU), ist daher auch skeptisch, ob das Dokument wirklich der große Wurf werden kann: „Es ist zu hoffen, dass die Erklärung ihrer Bedeutung gerecht werden kann und nicht zu sehr glatt geschliffen wird.“
Mittlerweile ist klar: Der Euro ist drin, der Gottesbezug wahrscheinlich raus. Ein Sprecher aus Downing Street No. 10 bestätigte der taz, dass sich das Vereinigte Königreich der Erwähnung des Euros nicht widersetzen werde. Und Frankreich, das lange Zeit auf die Bedeutung des sozialen Europas pochte, signalisiert nun Kompromissbereitschaft: Ein Hinweis auf sozialen Zusammenhalt und Solidarität könnte ein guter Kompromiss sein, gaben französische Diplomaten an. Ohnehin konsensfähig sind die Absätze zu Energie, Klimawandel und Wettbewerbsfähigkeit.
Offen aber ist bislang noch die größte Baustelle Europas, die Verfassung. Eigentlich sollte die Berliner Erklärung dem festgefahrenen Verfassungsprozess neuen Schwung geben. Aber mehrere Staaten, unter ihnen Frankreich, wollen die Verfassungsdiskussion bei den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der römischen Verträge gänzlich außen vor lassen. Französische Diplomaten forderten, man müsse die Frage, wie man mit der Verfassung weiterverfahre, auf dem Junigipfel lösen und nicht beim Berliner Treffen.
Es zeichnet sich ab, dass der Name Verfassung in der Erklärung daher nicht mehr auftauchen wird. Auch einen Zeitplan für den Verfassungsprozess wird es wohl nicht geben. Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker stellte infolgedessen auf dem EU-Frühjahrsgipfel vergangene Woche künftige Erweiterungen in Frage. Ohne „neues Arrangement“ der Institutionen seien diese nicht möglich: „Es ist wichtig, dass man nicht vergisst, dass Erweiterung und Vertiefung zwei Seiten einer Medaille sind.“
Im Oktober 2004 sahen die 27 Staats- und Regierungschefs dies noch genauso und unterzeichneten die Verfassung bei einem Festakt in Rom einhellig. Jetzt, kurz vor dem 50. Jahrestag der Europäischen Union, ist der Konsens von damals verschwunden. Und dafür spielt es dann auch keine Rolle mehr, wer der Autor der Erklärung sein wird.