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Archiv-Artikel

Große Mehrheit für Große Mauer

Das Oranienburger Stadtparlament spricht sich klar für eine Chinatown am Rande der Stadt aus. Jetzt fehlt nur noch der Segen des Landes. Aber der Bürgermeister gibt sich zuversichtlich. Allerdings sind nicht alle von dem Projekt überzeugt. Unter die Bedenkenträger mischen sich nun auch die Rechten

VON KONRAD LITSCHKO

Oranienburg öffnet seine Tore für eine Chinatown. Am Montagabend stimmte die lokale Stadtverordnetenversammlung mit 20 Ja-, zu 8 Nein-Stimmen für das Projekt eines neuen chinesischen Stadtviertels am südlichen Rand Oranienburgs. Damit macht die 40.000-Einwohner-Gemeinde den Weg frei für den Bau zu Deutschlands einziger Chinatown. „Das Ergebnis hatte sich schon abgezeichnet“, freute sich gestern der Oranienburger Baustadtrat Frank Oltersdorf. Nun sei man „froher Hoffnung“, die Chinatown auch erfolgreich realisieren zu können.

Auf einem verwaisten sowjetischen Militärflugplatz am Stadtrand will der Diplom-Ingenieur Stefan Kunigam aus Frankfurt (Oder) seine Chinatown hochziehen. 78 Hektar kleinasiatischen Flairs – Teehäuser, Pagoden, Tempel, Kräuterläden, Häuschen nach traditioneller Bauart, drumherum eine chinesische Mauer. Rund 2.000 zumeist chinesische Gewerbetreibende aus der Region Berlin-Brandenburg will Kunigam für das Viertel anwerben und auch im Ort wohnen lassen. Bezahlen sollen das 500-Millionen-Mammutprojekt finanzkräftige Investoren aus dem Land der Mitte selbst. 30 Millionen sind allein für die Geländeerschließung veranschlagt. Von interessierten Geschäftsleuten aus der nordchinesischen Stadt Harbin ist die Rede. Namen wolle man zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht nennen, so Planer Stefan Kunigam. Mit dem Abstimmungsergebnis des Parlaments kann Kunigams eigens gegründete Brandenburg-China Projekt Management Gesellschaft (BCPM) nun einen detaillierten Bebauungsplan für das Areal anfertigen. „Das zeigt, dass uns Oranienburg vom Prinzip her wohlgesinnt ist“, sagte Kunigam nach dem Votum. Nun wolle er „Tempo machen“, intensive Verbindungen mit allen Verhandlungspartnern aufnehmen. Wann Kunigam das Gelände tatsächlich erwerben wird, ließ der 54-Jährige am Montagabend offen. Auch bei der Brandenburgischen Bodengesellschaft, die den verfallenen Flughafen momentan noch verwaltet, gab es dazu keine Auskunft. Man befinde sich aber in intensiven Verhandlungen. Bürgermeister Joachim Laesicke verriet, dass die Kaufgespräche „optimistisch auf beiden Seiten“ verlaufen würden.

Das Zünglein an der Waage bleibt letztlich das Landesministerium für Infrastruktur und Raumordnung. Sollte hier ein Raumordnungsverfahren eröffnet werden, wird das Ministerium prüfen, ob eine Chinatown tatsächlich in die Landschaft passt. Man werde in den nächsten Tagen entscheiden, ob es zu dem Verfahren komme werde, erklärte Petra Dribbisch, Sprecherin des Ministeriums. „Es war eine umfangreichere Prüfung erforderlich als gedacht.“

Sechs Monate würde das Raumordnungsverfahren dauern, ab 2008 könnte und will Stefan Kunigam tatsächlich loslegen. Baustadtrat Oltersdorf bremst aber bereits voreilige Hoffnungen: Bis zum ersten Spatenstich könne es sich noch „bestimmt ein oder zwei Jahre hinziehen“. Dass es dazu tatsächlich kommen wird, ist mit dem Votum der Stadtverordneten dennoch beträchtlich näher gerückt. Zusammen mit seinen beiden chinesischen Partnern saß Kunigam am Montag im Parlamentssaal. Dabei traf der wuschige Mann nicht nur auf Freunde seines Projekts. „Ich sehe ein unkalkulierbares Risiko, was auf der Fläche entstehen wird“, sagte der CDU-Fraktionschef Friedrich Seifert. Er warnte vor einem „Disneyland“, einem „Zoo, wo man Chinesen angucken kann“. Auch Detlev Jansa von den Freien Wählern kritisierte „das Verschenken einer Industriefläche“. Bereits vor der Abstimmung wurden in der Oranienburger Bevölkerung vereinzelt Bedenken laut: Schnappt die Chinatown den innerstädtischen Geschäften die Kunden weg? Entwickelt sich da ein „Ghetto“ am Stadtrand? Solche Sorgen nutzt nun auch die lokale NPD, um Stimmung gegen das Projekt zu machen. In der Einwohnerfragestunde der Stadtverordnetenversammlung polemisierte der Vorsitzende der NPD Oberhavel, Detlef Appel, gegen die „Überfremdung“ durch die Chinatown. Rentner würden durch die Chinesen aus der Stadt vertrieben. „Da kommt mir die Galle hoch“, schimpfte Bürgermeister Laesicke über den NPD-Mann.

Gerade Laesicke hatte immer wieder für das Projekt geworben: Der Plan sei eine Chance, den abgewrackten alten Flughafen loszuwerden und einen touristischen Hingucker zu schaffen. Die Risiken für die Stadt seien minimal – schließlich würde das Projekt mit privaten Geldern bezahlt. Und wer, wenn nicht die wirtschaftlich aufstrebenden Chinesen könnten solch ein Projekt finanzieren? „Eine Vogel-Strauß-Politik hilft uns hier nicht weiter“, appellierte der SPD-Bürgermeister.

Das überzeugte offenbar im Parlament. Das Projekt stünde „in der weltoffenen Tradition Oranienburgs“, bekräftigte Ralph Bujok von der Linkspartei. Man werde damit ein „Alleinstellungsmerkmal“ für die Stadt schaffen, hoffte SPD-Fraktionschef Dirk Blettermann. Und auch die Grünen forderten: „Das ist eine große Chance – lassen wir uns auf die Idee ein“, so Cornelia Berndt. Am Ende waren es eben diese Parteien, die dem Bebauungsplan die Mehrheit gaben –und Stadtoberhaupt Joachim Laesicke beste Laune bescherten: „Wann schafft schon mal eine Stadt unseres Formats, im Tagesgespräch in Peking zu sein?“