DIE SENIORENVERTRETUNG SCHLESWIG-HOLSTEINS FORDERT MEHR TOILETTEN IM HANDEL UND DARIN SOLL SIE SICH AUF KEINEN FALL ENTMUTIGEN LASSEN : Das Internet braucht kein Klo
KATRIN SEDDIG
Jeder Mensch, wenn er nicht vorher stirbt, wird irgendwann alt. Und da er dann voraussichtlich immer noch unserer Konsumwelt angehört, wird er einkaufen. So kommt er dann raus und besucht auch mal andere Räume als zum Beispiel das eigene Wohnzimmer. Für manche alte Leute ist das Einkaufen sogar ein Spaß. Sie treffen andere Leute, sie treffen eigene Entscheidungen.
In diesem Punkt können manche alte Leute mit den jungen Leuten, denen oftmals das Einkaufen über alles geht, durchaus mithalten. Immerhin gehört dem alten Menschen der Supermarkt und der Konfektionsladen am Vormittag fast allein. Erschwert wird ihm das Mithalten und verdorben der Spaß aber oftmals durch ein Bedürfnis, das uns zwar alle ab und zu ereilt, das aber dem alten Menschen schnell zur Qual werden kann, wenn es weit und breit keinen Ort dafür gibt.
Öffentliche Toiletten sind so gut wie ausgestorben. In Zukunft bekommt allerdings in Berlin jemand, der einen Supermarkt ab achthundert Quadratmetern errichten will, nur eine Genehmigung dafür, wenn er Toiletten einplant. Für die Kunden. Das gefällt auch den Senioren Schleswig-Holsteins. Die Hauptstadt nimmt man sich gern zum Vorbild. Und deshalb hat der Landesseniorenrat Schleswig-Holstein im Altenparlament des Landtages den Landtag und die Landesregierung aufgefordert, neue Vorgaben für Toiletten in die Landesbauordnung aufzunehmen.
Dem Einzelhandel gefällt das gar nicht, sagt der Einzelhandel. Verständlich. Der Einzelhandel fürchtet, sich für die vollkommen einkaufsunabhängigen Bedürfnisse seiner Kunden in Kosten stürzen zu müssen. Man kann sich darüber streiten, ob für diese Art von Bedürfnissen, die letztendlich nicht nur alte Menschen betreffen, nicht die Gemeinschaft zuständig ist. Schließlich ereilt dieser Drang nicht nur die Kaufenden. Der Nichtkonsumierende, Mittellose, der auf der Bank schläft, der muss auch. Und offiziell darf er nicht gegen den Baum strullen, aber was bleibt ihm übrig?
Der Handel andererseits verdient am Kunden, verdient daran, dass der Kunde bei ihm verweilt. Warum soll er dann nicht, so wie der Gastronom, einfach zum Toilettenbetreiben verpflichtet werden? Ich persönlich bin ja ein Fan vom alten Karstadt. Jedenfalls von meinem hier, in Wandsbek. Wenn ich mal großzügig davon absehe, dass Kleidungstücke oftmals in Größe 36 anscheinend gar nicht erst geordert werden. Karstadt bietet den Kunden ausreichende und großzügige Umkleideräume, kostenlose, gepflegte Toiletten und sogar ein Selbstbedienungsrestaurant unter dem Dach. Nützen tut das meinem Karstadt nicht besonders viel. Es ist dort angenehm leer unter der Woche.
Bei H & M dagegen drängen sich die Kinder und müssen anscheinend nie auf die Toilette, auch wenn sie eine Stunde vor der Umkleide angestanden haben und dann noch eine Stunde vor der Kasse. Im alten Karstadt in Wandsbek wartet in der Haushaltswarenabteilung noch immer ein auf höfliche Zurückhaltung bedachter Herr darauf, dass er mir helfen kann. Aber das ist alles ein Anachronismus.
Der Trend geht zu weniger Komfort. Der Mensch will nicht mehr bedient werden. Er will nur noch Preise vergleichen, das ist sein Sex, etwas billiger bekommen zu haben, das ist sein Orgasmus. Er will ihn so und nicht anders. Und wozu dann noch Einzelhandel, wozu Toiletten? Wer im Internet bestellt, kann zu Hause pinkeln. Und wenn der alte Mensch von heute noch kein Internet hat, dann hat der alte Mensch von morgen, das bin nämlich ich, sicher Internet zu Hause und er wird auch bestellen, wenn ihm die Öffentlichkeit oder der Handel keine Toiletten zur Verfügung stellt. Aber kommt er dann noch raus? Deshalb, Senioren von Schleswig-Holstein, lasst euch nicht entmutigen, die Uneinsichtigen von heute sind die mit der Blasenschwäche von morgen. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.