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Archiv-Artikel

Trost tanken an der Autobahn

Mobiles Beten

Die evangelische Kirche in Hamm will eine denkmalgeschützte Autobahntankstelle zum Gebetshaus umbauen. Obwohl zeitgleich eine Kirche im Ort abgerissen werden muss. So etwas nennt man „Wachstum gegen den Trend“

AUS HAMM KLAUS JANSEN

Einen Trucker schockt auch schlechtes Wetter nicht. Und so wuchtet der Mann aus Tschechien seinen schweren, behaarten Oberkörper bei zehn Grad Außentemperatur unbekleidet aus der Fahrerkabine seines nicht weniger schweren Lastwagens. Schnaufend begibt er sich zum nächsten Busch. Er pinkelt. Ein paar Meter weiter trinken Jugendliche in einem alten VW-Bus Kaffee. Ihrem Autokennzeichen nach zu urteilen müssen sie an diesem Tag schon einige hundert Kilometer gefahren sein, sie kommen aus Berlin. Müde Lastwagenfahrer, müde Reisende. So könnte sie aussehen, die neue Zielgruppe.

Es ist kurz vor halb zehn am Morgen auf der Raststätte Rhynern-Nord bei Hamm. Auf der A 2 in Richtung Ruhrgebiet schiebt sich der Berufsverkehr entlang, stop and go, niemand fährt schneller als sechzig. „Wir stehen hier am Tor zu Westfalen“, sagt Lutz-Thomas Kusch. Er ist Architekt und arbeitet für den evangelischen Kirchenkreis Hamm, und hier, ganz am Ende des Parkplatzes, will er bis zum Jahresende ein Projekt realisieren, auf das er ganz besonders stolz ist. „Tankstelle für die Seele“ hat es der Kirchenkreis getauft. Das ist logisch – denn es geht um ein Gebäude, in dem die Seele Ruhe und Entspannung finden soll, und an dem noch bis vor zwei Jahren Benzin verkauft wurde.

„Die Gesellschaft wird mobiler. Und Kirche muss da sein, wo Gesellschaft statt findet“, sagt Lutz-Thomas Kusch. Deshalb hat die Kirchensynode Hamm am vergangenen Mittwoch einstimmig beschlossen, die denkmalgeschützte Tankstelle Rhynern-Nord in eine Autobahnkapelle umzugestalten. Es ist erst die vierte Autobahnkapelle in Nordrhein-Wesfalen, aber nicht das macht sie besonders: Sie wird errichtet zu einem Zeitpunkt, an dem die christlichen Kirchen sonst nur über das Sparen reden. 85.000 Euro muss die Synode für den Umbau vorfinanzieren, nur ein Drittel der Kosten trägt die Stadt. Gleichzeitig muss mit der Erlöserkirche im Zentrum ein erst 46 Jahre altes Gotteshaus abgerissen werden – weil es jeden Tag 42 Euro Unterhalt kostet. Am 29. Juli soll die Kirche entwidmet werden. Aber: Öffentliche Proteste gab es kaum.

„Viele ältere Leute, die noch sehr an der Vorstellung einer aktiven Kerngemeinde hängen, tun sich noch etwas schwer mit dem Gedanken. Sie glauben, dass die neue Autobahnkapelle in Konkurrenz zu ihrem Gemeindezentrum stehen könnte“, sagt Tilman Walther-Sollich. Der junge Pfarrer kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Kirchenkreises. „Aber wir müssen neue Zielgruppen erschließen,“ sagt er.

Ganz ähnlich hatte es der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Bischof Wolfgang Huber, vor einem Jahr im Vorwort des Zukunftspapiers „Kirche der Freiheit“ formuliert: Durch Investitionen in „zukunftsverheißende Arbeitsgebiete“ sei ein „Wachsen gegen den Trend“ möglich. „Als ich zum ersten Mal von der Idee der Kapelle hörte, hatte ich Angst, dass ein gutes Projekt zum falschen Zeitpunkt kommt“, sagt der Superintendent des Kirchenkreises Hamm, Rüdiger Schuch. „Die klassische Gemeinde bleibt eine Stärke der Volkskirche“, glaubt er. „Aber wir müssen den Menschen auch etwas darüber hinaus bieten.“

Kirche, Kindergarten, Gemeindezentrum – glaubt man den Protestanten in Hamm, dann reicht das nicht aus, um die Schrumpfung der Volkskirchen zu stoppen. Zuletzt haben sie deshalb ein Gotteshaus für einen Tag zu einem Restaurant umgestaltet. „Wir haben das während einer Benefizveranstaltung probiert. Es war restlos ausverkauft“, sagt Pfarrer Walther-Sollich. Und auch die Autobahnkirchen sind in diesem Sinne ein Zukunftsmarkt: 30 davon gibt es bundesweit, und jeweils bis zu 300.000 Besucher fahren sie jährlich an. „Es sind Orte der Entschleunigung“, sagt Architekt Kusch. Nicht nur die Verkehrspolizei sei dankbar, wenn Menschen auf Reisen eine Rast einlegen.

In Rhynern ist von Entschleunigung bis jetzt noch nicht viel zu spüren: Es ist laut auf der matschigen Baustelle, und der Verkehr passiert das Gebäude in so einem knappen Abstand, dass beinahe der Fahrtwind der Lastwagen zu spüren ist. Die alte Tankstelle wird von innen gerade völlig entkernt, auf den fast blinden Fensterscheiben laden Aufkleber noch zum „Kaffee nachtanken“ und fragen: „Bock auf Wurst?“ “Wir wollen den Charakter der Tankstelle beibehalten“, sagt Kusch. Das bedeutet, dass die mächtige Außenkonstruktion mit dem spitz zulaufenden Dach und den sechs massiven Säulen unverändert bleibt. „Heimatstilbebauung“, nennt Kusch die Konstruktionsweise. Typische Dritte-Reichs-Architektur. Das Gebäude ist zwar von 1947, doch ist es eine Kopie des Rasthofes auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite – und der ist 1937 vom gleichen Architekten entworfen worden.

Gemeinsam mit Studenten der Universität Kassel hat Kusch einen neuen Innenraum entworfen: Einen Altar soll es geben, einen Kerzenständer, Sitzmöglichkeiten. „Es wird massive Stahlmöbel geben“, sagt Kusch. Denn so eine Autobahnkirche sei ein unkontrollierter Raum - in dem besser nichts stehen sollte, was sich leicht entwenden lässt. Vandalismus will der Architekt mit Stil begegnen: „Wenn eine Kirche aussieht wie ein Dixi-Klo, dann gibt es auch Schmierereien. Sonst nicht“, sagt er.

Ein ökumenisch zusammen gesetzter Förderverein sucht noch nach Sponsoren, um so viel Stil wie möglich zu bieten. Die ersten Spender haben schon zugesagt, und wenn man das Geld der Stadt hinzunimmt, ist schon die Hälfte der Umbaukosten gesichert. Vielleicht will der Kirchenkreis aus gegebenem Anlass auch Mineralölgesellschaften wie Aral oder BP ansprechen. „Wir würden bestimmt kein Logo von denen an die Wand hängen. Aber eine kleine Plakette wäre schon möglich“, sagt Kusch.

Von Dieben und Sprayern abgesehen sollen in der neuen Seelen-Tankstelle aber alle Besucher willkommen sein. Auf Prunk wollen die Kirchenleute verzichten, wahrscheinlich wird nicht einmal ein Kreuz an der Fassade angebracht. „Wir halten uns mit christlicher Symbolik zurück“, sagt Pfarrer Walther-Sollich. Dafür sollen im Innenraum Bibeln in polnischer und russischer Sprache bereit gelegt werden – die A 2 ist die wichtigste Ost-West-Verbindung Europas.

Dass Gläubige aus der Gemeinde in Rhynern häufig zur Autobahnraststätte pilgern, glaubt selbst der Architekt Kusch nicht. „Vielleicht kommen sie zu den Gottesdiensten“, sagt er. Regelmäßig wird es die allerdings nicht geben, sondern nur zu besonderen Anlässen. Und die werden sich auch mindestens so stark nach den Verkehrsbewegungen wie nach dem christlichen Feiertagskalender richten. „Wir laden ein zur Hauptreisezeit, an Ostern und Pfingsten. Und wir werden besonders für die Verkehrstoten beten.“