: Grüne zerlegen sich selbst
Die niedersächsischen Grünen verweigern der Parteichefin Dorothea Steiner auf dem Landesparteitag in Hitzacker einen vorderen Platz auf der Landesliste. Steiner verzichtete auf eine dritte Kandidatur, die Partei will sie dennoch weiter führen
Wenn die Partei bei der Wahl über zehn Prozent kommt, könnte das für diese Kandidaten einen Sitz im Landtag bedeuten. Platz 1: Ursula Helmhold (Kreisverband Schaumburg), 2: Stefan Wenzel (Göttingen), 3: Miriam Staudte (Lüneburg), 4: Enno Hagenah (Hannover), 5: Ina Korter (Wesermarsch), 6: Helge Limburg (Holzminden), 7: Filiz Polat (Osnabrück-Land), 8: Ralf Briese (Oldenburg-Stadt), 9: Elke Twesten (Rotenburg), 10: Hans-Jürgen Klein (Cuxhaven), 11: Gabriele Heinen-Kljajic (Braunschweig), 12: Christian Meyer (Holzminden), 13: Meta Janssen-Kucz (Leer), 14: Andreas Meihsies (Lüneburg), 15: Stefanie Hennecke (Diepholz) taz
AUS HITZACKER Kai Schöneberg
Niedersachsens Grüne haben bei ihrem Parteitag am Wochenende in Hitzacker viele junge Talente auf die Liste für die Landtagswahl im Januar gewählt – und gleichzeitig die eigene Parteispitze demontiert. Getroffen hat der Unmut der Delegierten vor allem die Umweltexpertin der Fraktion, Dorothea Steiner, die seit Januar auch Landesparteichefin ist.
Dabei hatte Steiner alles richtig machen wollen. Als ihre Gegenkandidatin um Listenplatz 5, Ina Korter, an diesem Samstag schon am Pult stand, drängte Steiner die draußen Plaudernden in den mit Sonnenblumen geschmückten Parteitags-Saal: „Ohne Publikum redet es sich so schlecht.“ Eine faire Geste, aber sie half Steiner bei der Grünen-Basis wenig: Die 59-Jährige fiel bei den Delegierten glatt gegen die Bildungs-Expertin Korter durch.
Wenig später konnte sich Steiner auch nicht bei der Wahl um Listenplatz 7 durchsetzen. Erneut schmerzlich. Nicht nur, weil sie dabei gegen die gut 30 Jahre jüngere Filiz Polat unterlag: Sondern auch, weil Steiner ausgerechnet Polat noch vor sechs Monaten auf dem Parteitag in Stade den Posten als Landesparteivorsitzende abspenstig gemacht hatte.
Das Drama nahm seinen Lauf: Eine Nacht schlief sie drüber, am Sonntag gab Dorothea Steiner bekannt, dass sie nicht mehr in die Fraktion wolle. Die Ergebnisse hätten ihr „zu verstehen gegeben, dass die Landesvorsitzende unter den ersten zehn nicht gewünscht ist“, sagte Steiner. Sie sei zwar „verblüfft, dass meine Partei meine Kompetenz bei Umwelt- und Klimaschutz nicht will“, aber sie sei wohl für die Basis im Landtag „verzichtbar“ geworden.
Die Delegiertenschar klatschte artig, aber Beobachter sahen da auch eine Prise Heuchelei: Viele der Applaudierenden hatten zuvor gegen die Gymnasiallehrerin gestimmt, die trotz der Demütigung die Partei weiter zusammen mit Raimund Nowak führen will. „Eine schwere Situation“ ergebe sich durch das Steiner-Debakel für Niedersachsens Grüne, hieß es später aus der Parteispitze.
Dabei hatte der Parteitag so harmonisch begonnen: Ländliches Fröschequaken, ein Bild vom verhassten FDP-Umweltminister Hans-Heinrich Sander beim „Kettensägenmassaker“ in den Elbauen und eine mit deutlichem Ergebnis gewählte Spitzenkandidatin. „Gäbe es einen Preis für umweltpolitisches Limbo-Tanzen“, sagte Ursula Helmhold bei ihrer Bewerbungsrede, „er wäre der unanfechtbare Weltmeister. Wie tief auch immer der Anspruch gehängt würde, Herr Sander käme immer locker unter der Stange durch.“ Die Fraktionsvizin und Sozialpolitikerin Helmhold kam an mit ihrer Attacke – und heimste 131 von 149 Delegiertenstimmen ein. Auf Platz 2 der Liste kam Fraktionschef Stefan Wenzel, obwohl er einen Gegenbewerber hatte, mit immerhin 128 von 148 abgegebenen Stimmen.
Die Grünen entschieden sich auch dafür, ihre Kandidaten für die Landtagswahlen deutlich zu verjüngen: Sechs der 15 ersten Bewerber sind unter 40 Jahre alt. „Gebt mir eure Stimme, dann gebe ich euch die fünf besten Jahre meines Lebens“, hatte die Lüneburger Kreistagsfraktionschefin Miriam Staudte (31) den Delegierten zugerufen. Und sich damit bereits im ersten Wahlgang gegen sechs Mitbewerberinnen auf Platz 3 der Liste durchgesetzt. Der Sprecher der Grünen Jugend, Helge Limburg, wurde auf den Landtags-Neulingen vorbehaltenen Listenplatz 6 gewählt. „Wir sind die Anti-Nazi-Partei“, betonte der 24-jährige Jura-Student aus Holzminden, der Politik für Jugendliche attraktiver machen will.
Eine bärbeißige Basis, recht junge Kandidaten – und eine Parteibasis, die offenbar wenig von alten Fundi-Themen hält: Fragen nach der „Entkriminalisierung des Eigenanbaus von Cannabis“ wurden nicht beantwortet. Eine Bewerberin um Platz 3, die ihre Rede mit „We shall overcome“, dem Uralt-Song der Friedensbewegung, krönte, ergatterte keine einzige Stimme.
der tag SEITE 2