piwik no script img

Archiv-Artikel

Milch ist eine sensible Materie

Als Nordmilch in den Radsport einstieg, wollte man bei Doping hart durchgreifen – und sogar das ganze Team Milram in Frage stellen. Jetzt liegen Zahlen über die Werbewirkung des Sponsorings vor – und man verabschiedet sich von der starren Haltung

Von Milch zu Wasser

Nordmilch ist nach eigenen Angaben mit jährlich vier Milliarden verarbeiteten Kilo Milch Deutschlands größtes milchwirtschaftliches Unternehmen. Eigentümer sind die rund 11.000 zuliefernden Landwirte, der Jahresumsatz: zwei Milliarden Euro. Ein Profi-Radsportteam unterhält man seit 2006. Damaliger Slogan: „Die Milch muss sauber sein.“ Kapitän Erik Zabel sprach davon, dass „clean sein auch beim Radsport oberste Grundvoraussetzung“ wäre. Noch im Januar 2007 bekräftigte Vorstands-Chef Stephan Tomat diese Haltung: „Wenn irgendwo Doping auftaucht“, sagte er dem online-Magazin radsportnews.net, „dann war’s das“. Nachdem Erik Zabel Mitte Mai gestanden hatte bei Telekom gedopt zu haben, relativierte man: „Wer bei uns dopt, fliegt raus“ – Zabel durfte bleiben. Momentan spricht man davon „eine Ausstiegsstrategie zu haben“. Auf die werde man zurückgreifen „wenn wir eine Schädigung unserer Markenwerte feststellen“.  BES

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Nordmilch bleibt dem Radsport treu. „Ein Ausstieg“, sagte Vorstandsmitglied Martin Mischel gestern zur taz, „steht momentan nicht zur Debatte.“ Ein Statement von wünschenswerter Klarheit – über dessen Mindesthaltbarkeitsdatum allerdings gerätselt werden darf: Nachdem der Nordmilch-Rennstall Team-Milram Ende Mai die Affäre um den eigenen Kapitän und geständigen Doping-Sünder Erik Zabel ausgesessen hat, stehen aktuell der Teamchef Gianluigi Stanga und der zweite Top-Sprinter Alex Petacchi unter Verdacht.

Petacchi beendete dieses Jahr beim Giro d’Italia drei Etappen als Erster, was ein guter Erfolg war. Dumm nur: Bei einer hatte er mehr Asthma-Spray im Blut, als erlaubt.

Das klingt natürlich verdächtig: Denn weshalb um alles in der Welt muss ein Asthmatiker ausgerechnet Profi-Radler und dann auch noch Sprint-Spezialist werden. Aber „das schließt einander nicht aus“, so der Vorsitzende der deutschen Atemwegsliga, Heinrich Worth. Während früher ausschließlich Ausdauersportarten empfohlen wurden, so der Lungen-Spezialist, „integriert man heute auch Kraftsport-Elemente“ ins Asthma-Training.

Unumstritten ist, dass die entsprechenden Sprays leistungssteigernd wirken: 1.000 Nanogramm Salbutanol hätte Petacchi pro Milliliter Blut haben dürfen, sein Wert lag um 320 Nanogramm drüber.

Heute entscheidet das Nationale Olympische Komitee Italiens, ob er weiterradeln darf – oder zwei Jahre lang gesperrt und bei Milram gefeuert wird. Man werde die Bemühungen unterstützen und im Ergebnis „voll und ganz die Arbeit der zuständigen Institutionen“ respektieren – so Nordmilch auf die Frage, ob eigene übers Übliche hinausweisende Bemühungen um Aufklärung geplant sind. Das heißt wohl eher: Nein.

Ebenfalls zum Rapport in die Firmenzentrale nach Bremen bestellt worden ist Gianluigi Stanga. Der ist Milram-Teamchef. Und der Grund für die Ladung heißt – Doping: Jörg Jaksche hatte den Italiener im Spiegel bezichtigt, ihn 1997 zum Dopen verdonnert zu haben. Jaksche war damals Jungprofi, Stanga sportlicher Leiter des Rennstalls Polti. Stangas Ruf beruht darauf, dass er immer wieder auf junge Talente setzt – er gilt als Entdecker Richard Virenques – und in die Bräuche der Profi-Szene einführt. Wie, davon hatte Jaksche ein plastisches Bild gezeichnet: Stanga habe ihn zu sich zitiert, heißt es bei Spiegel Online, weil er „endlich mit der Behandlung anfangen“ wollte – sprich: „herausfinden, was bei mir wirkt“. Glaubt man Stanga, eine „völlig absurde“ Darstellung.

Was bleibt den Milram-Verantwortlichen schon anderes übrig, als Stanga zu glauben? Am Samstag beginnt die Tour de France. Ohne Teammanager bräuchte man gar nicht erst anzutreten. Und ein Ausstieg steht, wie gesagt, nicht zur Debatte. Sicher, eine Ausstiegsstrategie habe man, sagte Mischel gestern. In deren Rahmen seien bestimmte Parameter festgesetzt, die zu erfüllen sind – sprich: Man reagiere, sobald eine Schädigung der Markenwerte festgestellt würde.

Vor einem halben Jahr noch hatte man einen Ehren-Kodex hochgehalten: Doping sei absolutes No-go, und „wenn irgendwo Doping auftaucht, dann war’s das“ – das hatte Nordmilch Vorstands-Chef Stephan Tomat im Januar versprochen.

Jetzt aber liegt die Bilanz des Vorjahrs vor: Sieben Millionen hat der Milch-Gigant investiert, auf 50 Millionen Euro wird die Medienpräsenz des Team Milram beziffert. Und die hat durch den Fall Zabel deutlich zugenommen: Also argumentiert man mittlerweile, nicht die mediale Meinung sondern die des Verbrauchers sei entscheidend. Und der honoriert offenbar Inkonsequenz: „Im Fall Zabel haben wir allein innerhalb von 24 Stunden massenhaft positive Reaktionen erhalten.“

Milch ist eine sensible Materie. Verunreinigungen darf es nicht geben, unerlaubte Beimischungen: Das wäre eine Katastrophe. Radsport gilt nicht erst seit gestern als Doping-Sumpf. Trotzdem sei „die Sponsoring-Tätigkeit eher als gut empfunden worden“, sagt Jan Heusmann, als Milchbauer Zulieferer und zugleich Anteilseigner von Nordmilch.

Nein, im Einzelnen mit der Basis abgestimmt seien die Pläne nicht gewesen, „aber gut kommuniziert“ und „offenbar aus unternehmerischer Sicht richtig“.

Tatsächlich werden mit der Kernmarke, einem Quark mit einer Gartenkräutermischung, Unternehmensangaben zufolge momentan „zweistellige Wachstumsraten“ erzielt. Dass das Sponsorship dazu seinen Teil beiträgt, gilt als sicher: Andere Werbeaktivitäten hat Nordmilch nämlich inzwischen weitgehend eingestellt.