: Flucht ist kein Verbrechen
Berenice Böhlo, Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), über die Verschärfung des Asylrechts
■ Jahrgang 1971, hat Politik- und Rechtswissenschaften studiert und ist Anwältin für Asyl- und Aufenthaltsrecht in Berlin.
INTERVIEW SYBILLE BIERMANN
■ Freitag, 5. Dezember „Die Verschärfung des Asylrechts stoppen! Für eine wirkliche Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete!“ Demonstration, organisiert vom Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg. 14 Uhr, Potsdamer Platz bglbb.blogsport.de
taz: Frau Böhlo, jüngst wurde der Öffentlichkeit der Asylkompromiss als Verbesserung für in Deutschland lebende Asylsuchende verkauft. Stichwort Residenzpflicht, Arbeitserlaubnis, Geld statt Gutscheine. Ist das so? Berenice Böhlo: Residenzpflicht hätte auch auf Länderebene geregelt werden können. Das ist noch keine Rechtfertigung für die drei hinzugekommenen „sicheren“ Herkunftsländer und somit die Abschaffung des Asylrechts für Roma-Minderheiten aus dem Westbalkan. Die Residenzpflicht ist auch nicht grundsätzlich aufgehoben worden. Das gilt nur für bestimmte Gruppen, und auch da gibt es Einschränkungsmöglichkeiten, auch schon bei geringfügigen Vergehen wie Schwarzfahren. Das absolute Arbeitsverbot gilt für die ersten drei Monate weiter und die Vorrangprüfung, die der eigentliche Knackpunkt ist, also dass Arbeitnehmer mit deutschem Pass vorzuziehen sind, soll weiterhin fünfzehn Monate gelten. Faktisch wird also nur eine ganz kleine Gruppe davon profitieren. Im Dezember wird das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ beschlossen. Der Deutsche Anwaltverein ist der Meinung, die Änderungen dienen lediglich dem Zweck, Abschiebungen einfacher zu machen. Da gehe ich mit. Wir kenne den Text ja noch nicht, sondern nur den Entwurf vom Frühjahr. Es sind aber Verschärfungen zu erwarten statt der vom Koalitionsvertrag erhofften Verbesserungen. Ein großes Problem ist, dass neue Einreise- und Aufenthaltsverbote eingeführt werden sollen. In Zukunft wird es so sein, dass die Ausländerbehörde die Möglichkeit hat, bei Ablaufen der Ausreisepflicht sofort ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auszusprechen. Das bedeutet, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, über eine Härtefallkommission, etwa aus familiären Gründen, doch noch eine Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Bleiberechtsregelung läuft damit völlig ins Leere. Abgelehnte Asylsuchende sollen unter pauschalen Missbrauchsverdacht gestellt werden. Ein weiterer großer Kritikpunkt ist, dass die Gründe, für die eine Abschiebehaft verhängt werden können, grenzenlos ausgeweitet werden. Aber im Juli gab es den Beschluss, dass Abschiebehaft nicht nur mit Fluchtgefahr begründet werden darf? Abschiebehaft darf nur das letzte Mittel sein und muss auf ein absolutes zeitliches Minimum begrenzt werden. Gerade stehen viele der Einrichtungen fast leer. Das liegt zunächst an der Entscheidung des EuGH im Juli, dass Abschiebehaft nicht mit dem regulären Strafvollzug zusammengelegt werden darf. Ein weiterer Grund ist, dass der EuGH entschieden hat, dass der Gesetzgeber genau festlegen muss, wann eine erhebliche Fluchtgefahr besteht. Bisher wurde dies oft im Einzelfall entschieden. Das neue Gesetz will das definieren. Wenn die Gründe für eine Haft so kommen wie im Entwurf festgeschrieben, dann kann im Grunde genommen jeder Dublin-Flüchtling inhaftiert werden. Zum Beispiel: wenn jemand illegal eingereist ist und dafür einen Schleuser in Anspruch genommen hat. Das trifft auf 95 Prozent dieser Gruppe zu. 2014 wurde bereits mehr rassistische Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge verzeichnet, als 2012 und 2013 zusammen. Gleichzeitig kommen von politischer Seite Gesetzesverschärfungen. Fühlen Sie sich an die 1990er Jahre erinnert, als auf Brandanschläge die Einschränkung des Asylrechts folgte? Teilweise. Auf der Ebene der gesetzlichen Initiativen der Bundesregierung gibt es eine Rückentwicklung. Da haben sich die absoluten Hardliner durchgesetzt. Gleichzeitig geht man den Diskurs hierzu nicht so offensiv an wie damals. Bei der Ausweitung der Haftgründe versucht man zu beschwichtigen, anderswo zu verschleiern. Zum Aufenthalts- und Einreiseverbot zum Beispiel gibt es keinerlei öffentlichen Stellungnahmen. Man hofft wohl, dass es einfach mit durchrutscht. Es liegt aber auch an der zunehmend kritischen Berichterstattung. Für die Regierungsfraktionen ist es schwieriger geworden, ihre Positionen zu rechtfertigen. Und vieles, gerade was das tägliche Sterben im Mittelmeer betrifft, ist weder erklärbar noch zu rechtfertigen. Man versucht die Schleuser und Schlepper zu den allein Verantwortlichen zu machen. Dann muss man aber auch erklären, wie die syrische Familie denn dann nach Europa kommen soll. Es gibt da einen massiven Widerspruch, und das ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und nicht nur was die Außengrenzen betrifft, sondern auch die Situation in den Heimen, die Arbeitsverbote etc. Da stelle ich eine große Veränderung fest. Gleichzeitig habe ich nicht den Eindruck, dass die Politik so weit ist. Darum hoffe ich auf den zivilgesellschaftlichen Diskurs und vor allem auch Druck.