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Archiv-Artikel

Die Realität ein wenig verändern

PRACHT Im Café Moskau sind großformatige Bilder von der Metro in Moskau zu sehen. Unter dem Ausstellungstitel „Metronaut“ zeigt Bernhard Ludewig ein utopistisches Fotomärchen, das über zwanzig schöne Stationen geht

VON BARBARA KERNECK

Wenn man Moskauer TouristInnen fragt, was ihnen in unserer Stadt besonders auffällt, kommt nicht selten die Antwort: „Die U-Bahn ist so hässlich und so dreckig!“ Ja, das war und ist in Moskau eben ganz anders. Nicht nur kommen die Züge dort prompt alle zwei Minuten, nicht nur transportieren sie täglich 9 Millionen Menschen, nicht nur sind die Stationen viel, viel größer. Zumindest die historischen im Zentrum beeindrucken auch durch die Pracht unterirdischer Kathedralen.

Diesen ganzen Prunk hat nun der Fotograf Bernhard Ludewig mit seiner Kamera eingefangen und lässt ihn auf 18 großformatigen Tafeln an dem in Berlin dafür passendsten Ort erstrahlen: im Café Moskau. Zwischen all den Bildern schwebte am Eröffnungsabend das Wahrzeichen der Moskauer Metro, ein gedrungenes rotes M, gebildet aus lauter Luftballons. „Metronaut“ heißt die Ausstellung, weil, wie Ludewig meint, die mobilisierende Kraft des großen Metrobauprojektes ab 1931 nur noch mit der Wirkung der späteren Eroberung des Kosmos zu vergleichen war.

Touristen mit kleinen Kameras dürfen heutzutage ohne weiteres in der Moskauer Metro fotografieren. Der Fotograf mit seinem schwereren Gerät zog es vor, doch um eine offizielle Erlaubnis zu bitten. Nach 50 Telefonaten erhielt er sie, für die zwanzig schönsten Stationen und nur für bestimmte Zeiten außerhalb der Rushhour.

Nicht zu beobachten ist deshalb auf diesen Fotos, was in der Moskauer Metro noch heute am meisten an die Stalinzeit und die Industrialisierung des einst bäuerlichen Landes erinnert: wie sich zur Rushhour das Volk selbst als zäher Brei durch diverse unterirdische Rohre und Hallen zwängt wie durch Laborkolben. Und nicht erfasst sind die in manchen Stationen stets frischen Kränze für Dutzende von Opfern der Tschetschenen zugeschriebenen Metro-Terrorakte.

Die Tableaus im Café sind überwiegend Kompositionen aus bis zu zwanzig Einzelaufnahmen. Sie wurden mit einem weitwinkeligen, in verschiedene Richtungen verschobenen Tilt-Shift bzw. Fischaugen-Objektiv gemacht und dann langwierigen Korrekturen unterzogen. Die im wahren Leben von einer Art schummerigem Kerzenlicht erfüllten Stationen sind nun plötzlich taghell. Der Fischaugen-Effekt verkürzt die Pfeiler und macht die Decken niedriger. Dafür treten bezaubernde Details hervor, wie kleinteilige, farbige Deckenmosaike und die Schnauze einer Hundeskulptur. Jedes Bild gleicht einem Blumenstrauß in Zellophanpapier.

„Man möchte ja nicht nur für die eigene Erinnerung fotografieren, sondern auch um etwas zu erzählen“, sagt Bernhard Ludewig, „und dann verändert man die Realität ein wenig, damit die Geschichte besser gelingt.“ Dem Fotografen ist seine Geschichte sehr wichtig. Am Rande hatte sie schon einen Völker verständigenden Effekt. Die Pressedamen der Moskauer Metro waren vom Resultat so begeistert, dass sie am liebsten zur Eröffnung eine kleine Delegation geschickt hätten. „Ich musste die ganze Zeit über daran denken“, berichtet Ludewig, „was den Metro-Erbauern einst vorschwebte.“ Anzunehmen, dass es die „lichte Zukunft“ der damals gängigen Losung war. Sie hat der Fotograf in seinen Bildtafeln nun schon mal in die Gegenwart geholt.

■ Bis 21. August, Café Moskau, Karl-Marx-Allee 34, täglich 10–18 Uhr