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Ein Dokument gelebter Kunst

„Max Ernst: Mein Vagabundieren – Meine Unruhe“ von Peter Schamoni

Ein Träumer tanzt in einer leeren New Yorker Straße, zwei grobe Kerle lachen ihn aus, aber er schwebt mit verklärtem Blick an ihnen vorbei und die Musik von Igor Strawinsky lässt auch uns mittanzen. Max Ernst spielte diesen Traumtänzer 1949 in dem surrealistischen Film „8 x 8“ seines Freundes Hans Richter. Und als eine poetisch-schöne Traumgestalt sieht man ihn auch in einem kurzen Ausschnitt aus „L’Age D’Or“ von Salvador Dalí und Luis Buñuel.

Der 1891 geborene und 1976 verstorbene Max Ernst war einer der ersten modernen Künstler, die auch sich selbst und ihr Leben wie ein Kunstwerk inszenierten. Buñuel beschreibt ihn als „schön wie ein Adler, mit seinem eigenartigen Vogelgesicht und den hellen Augen“. Picasso hat Henri-Georges Clouzot gleich einen ganzen Film über ihn in seinem Atelier drehen lassen. So viel Glück hatte der Regisseur Peter Schamoni nicht, aber 30 Jahren beschäftigte er sich mit Max Ernst und seiner Kunst. Als junger Student lernte er ihn an der Filmhochschule in Paris kennen, drehte zwei Kurzfilme über ihn, sammelte Aufnahmen seiner Werke, Fotografien sowie Filmausschnitte und bastelte all diese Mosaikstück 1991 anlässMarion Hänsellich des 100. Geburtstags des Malers zu einem 100 Minuten langen Film zusammen.

Und weil Max Ernst sich selbst mit viel poetischem und visionären Esprit inszenierte, konnte dabei nicht viel schiefgehen. Nur wenige Male, wenn Schamoni und sein Kameramann Ernst Hirsch versuchten, die Dokumentation mit eigenen künstlerischen Ideen anzureichern, trifft der Film falsche Töne. Zeitrafferaufnahmen von amerikanischen Landschaften oder Straßenszenen wirken nicht nur unmotiviert, sondern sind direkt bei Godfrey Reggio abgekupfert, dessen cineastischer Trip „Koyaanisqatsi“ damals sehr in Mode war. Interessant, dass nur dieser Versuch, modern zu sein, den Film jetzt zum Teil altmodisch wirken lässt.

Dagegen stört es heute überhaupt nicht mehr, dass Schamoni hier völlig konventionell das ganz und gar unkonventionelle Leben vom Max Ernst präsentiert. Selbst der dröge Ton des Erzählers („Im Jahr 1939 traf Ernst in Paris den-und-den“) setzt dabei einen reizvollen Kontrast zu den sehr lebendigen, dichterischen Selbstzeugnissen von Ernst („Wie viele Farben hat die Hand?“). Der Film zeigt viele seiner schönsten Werke: Bilder, Skulpturen, Zeichnungen, Fresken, Reliefs und sogar Häuser. Dabei verstärkt die Musik von Igor Strawinsky die Wirkung all dieser Werke. Sie hat den gleichen avantgardistisch- visionären Impetus und funktioniert erstaunlich gut als Filmmusik.

Das Leben von Max Ernst zwischen Dada, Surrealismus und Hopi-Indianern, als immer Reisender in Paris, New York, Arizona und Avignon war fantastisch, provozierend und frei wie seine besten Kunstwerke. Der Film gilt als Opus Magnum von Peter Schamoni, der sich mit Künstlerporträts einen Namen machte. 1971 drehte er einen Film über Friedensreich Hundertwasser, 1986 mit „Caspar David Friedrich – Grenzen der Zeit“ sein erstes Standardwerk, das immer noch als die beste filmische Annäherung an den romantischen Maler gilt. Ähnliches gelang ihm 1996 mit „Niki de Saint Phalle – Wer ist das Monster – du oder ich?“. Vor einigen Jahren hatte Schamoni einen weiteren Erfolg mit „Majestät brauchen Sonne“, in dem er untersuchte, wie Wilhelm II. sich als der erster Monarch selbst vor Filmkameras inszenierte. Wie schon in „Max Ernst“ zeigte sich auch hier, dass Schamoni immer dann am besten ist, wenn er das von anderen gedrehte Material auswählt und montiert. Wilfried Hippen

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