: Betriebe nur halb ausbildungswillig
Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt bleibt trotz Wirtschaftsaufschwung kritisch. Industrie- und Handelskammer sieht leichte Besserung. Der DGB warnt davor, dass in einem Monat wieder tausende Jugendliche ohne Vertrag bleiben
Die Arbeitslosigkeit in Berlin ist im Juli leicht gestiegen. Die Zunahme im Vergleich zum Juni sei allerdings saisonal bedingt, die Beschäftigung in der Stadt entwickele sich weiterhin positiv, teilte die regionale Bundes-agentur für Arbeit am Dienstag mit. Im Juli waren 264.875 Berliner erwerbslos gemeldet, 2.034 mehr als im Juni. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich um 0,1 Punkte auf 15,7 Prozent. Sie lag aber um 1,8 Punkte unter dem Vorjahreswert. „Der positive Trend auf dem Arbeitsmarkt ist ungebrochen“, sagte ein Sprecher der Arbeitsagentur. Der Beschäftigungszuwachs in Berlin lag sogar 0,5 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt.
Einen Monat vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres haben über 13.000 Bewerber noch keinen Ausbildungsvertrag. Das sind 40 Prozent aller Jugendlichen, die bei der Arbeitsagentur als Ausbildungssuchende registriert sind. Zwei Drittel der unversorgten Bewerber sind sogenannte Altbewerber, die schon ein Jahr und länger auf eine Lehrstelle warten. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin/Brandenburg, Dieter Scholz, rügt die Wirtschaft: „Statt Krokodilstränen über den Fachkräftemangel zu vergießen, müssen die Unternehmen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden.“
Die aktuellen Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Anzahl der Lehrstellen im Vergleich zum Vorjahr sogar gesunken ist. In Berlin sind 120 und in Brandenburg über 300 betriebliche Ausbildungsplätze weniger im Angebot als im Juli 2006. Insgesamt haben Berliner Unternehmen der Arbeitsagentur rund 10.000 Plätze für Auszubildende gemeldet. Da dies freiwillig geschieht, sei aber nicht auszuschließen, dass mehr Stellen für Jugendliche vorhanden seien, als die Agenturen wüssten, sagt der Sprecher der Regionalagentur Berlin/Brandenburg, Olaf Möller.
„Die Wirtschaft hat den Anspruch, jedem Ausbildungsfähigen ein adäquates Angebot zu machen“, erklärt die Leiterin des Bereichs Ausbildung der Industrie- und Handelskammer Berlin, Eleonore Bausch. Umfragen zeigten, dass die Industriebetriebe in diesem Jahr etwa 5 Prozent mehr Ausbildungsplätze als 2006 anböten. „Die Konjunktur macht sich auch auf dem Ausbildungsmarkt bemerkbar“, meint Bausch. Das Handwerk stellt nach Angaben der Handwerkskammer in diesem Jahr 1.850 Ausbildungsplätze bereit.
Den Berechnungen der IHK zufolge wird nur ein Viertel der 32.000 Bewerber in diesem Jahr keinen Betrieb von innen sehen. Nach dieser Statistik zählen aber auch öffentlich geförderte Praktika und berufsvorbereitende Maßnahmen in Betrieben als adäquate Angebote.
Die nicht wegzurechnende Lücke zwischen BewerberInnen und Plätzen werde sich mit der Zeit von selbst schließen, hofft Bausch. „Die Demografie wird dazu führen, dass die Anzahl der unversorgten Bewerber immer mehr schrumpft.“
Der DGB fordert dagegen den Senat auf, mehr Druck auf die Unternehmen auszuüben. „Gerade große Unternehmen wie Bahn, Telekom und Post haben in der Vergangenheit Plätze abgebaut“, kritisiert DGB-Jugendsekretär Daniel Wucherpfennig. Theoretisch würde es reichen, wenn auf 1.000 Beschäftigte 35 Lehrlinge kämen, um alle Jugendlichen mit Lehrstellen zu versorgen. Praktisch bilden die Unternehmen weit weniger aus. Bei der Bahn etwa sind nach DGB-Angaben nur 23 von 1.000 Mitarbeitern in Ausbildung. „Auch im öffentlichen Dienst müssen wieder mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden“, appelliert Wucherpfennig an den Senat. Das Land Berlin hat in den vergangenen Jahren über 2.000 Lehrstellen abgebaut.
Auf der anderen Seite zeigt sich, dass in manchen Bereichen die Bewerber knapp werden. „Wir stellen zunehmend fest, dass Betriebe keine adäquate Resonanz bekommen“, meint IHK-Vertreterin Bausch. Das beträfe unter anderem Ausbildungsplätze für Chemielaboranten und Technologen. ANNA LEHMANN