: Die Natur sieht fantastisch aus
EXISTENZKAMPF Der russische Spielfilm „How I ended this Summer“ inszeniert das Psychodrama einer Zweimannbesatzung auf einer Polarstation
Die russische Polarstation befindet sich auf einer einsamen Insel im arktischen Meer. Im Sommer geht die Sonne niemals unter. Die Zeiten, in der die Forschungsstation wichtig war, sind längst vorbei. Der Metereologe Sergei (Sergei Puskepalis), ein Mann Mitte 40, und der junge Pavel (Grigory Dobrygin), ein Hochschulabsolvent, sind die einzigen Bewohner. Ihr Job ist es, die Radioaktivität in der Umgebung zu messen und die Daten per Funk weiterzugeben. Während Sergei schon einige Jahre auf der Insel lebt, ist Pavel nur für ein dreimonatiges Praktikum hier. Was für den einen Beruf ist, ist für den anderen ein Abenteuer.
Alexei Popogrebskys Film „How I ended this Summer“, der bei der Berlinale 2010 einen Silbernen Bären gewann, beginnt sehr ruhig, wie ein naturnaher, existenzialistischer Film. Man sieht den jungen Pavel durch die großartige arktische Landschaft streifen. Er hat Kopfhörer auf, hört Rockmusik, macht seine Messungen, kehrt zurück in die Station, die aus zwei in den dreißiger Jahren gebauten Holzhäusern besteht. Man sieht Sergei, wie er Messergebnisse über Funk durchgibt, wie ihm die SMS seiner Frau durchgegeben wird, wie er das letzte neumodische Wort – „Smiley“ – nicht versteht, wie er die SMS beantwortet und das Funkgespräch mit einem „bis zur nächsten Kom“ beendet. Man sieht Pavel ein Computerkriegsspiel – „Stalker – der Schatten von Tschernobyl“ – spielen und später ausgelassen draußen von Tonne zu Tonne springen. Die Natur sieht fantastisch aus.
Die Beiden leben eher so nebeneinander her und reden nicht besonders viel miteinander. Das eigentliche Drama beginnt, als Sergei für drei Tage zum Fischen fährt und Pavel allein auf der Station zurücklässt. Per Funk wird ihm mitgeteilt, dass die Familie seines Kollegen tödlich verunglückte. Als Sergei zurückkommt, verpasst Pavel immer wieder den Augenblick, ihm die schreckliche Nachricht mitzuteilen.
Sergei ist in Eile, er beschimpft seinen Kollegen, weil der – schockiert von der Meldung – irgendwelche Daten falsch durchgegeben hat. Einmal setzt er an, doch Sergei muss schon weiter. Das Ungesagte, das doch unbedingt gesagt werden muss, vergiftet die Atmosphäre. Je länger Pavel zögert, die Nachricht zu überbringen, und Mittel findet, dass seinem Kollegen auch über Funk nichts erzählt wird, desto größer wird seine Angst. Größtenteils übernimmt der Film dabei die Perspektive des Jungen. Alexei Popogrebsky und seinen Schauspielern gelingt es großartig, diese schreckliche Angst in der Einsamkeit der Arktis darzustellen.
Manchmal denkt man bei dem fantastischen Film an Kafkas „Brief an den Vater“, manchmal auch an Kubricks „Shining“, manchmal an die eigene Kindheit, an die klassische Elterndrohung, dass alles ja doch irgendwann rauskommt.
Vielleicht geht der Film gegen Ende ein bisschen zu weit, aber alles bleibt nachvollziehbar. Man hatte lange nichts mehr gesehen, was atmosphärisch so dicht, bedrückend, in schöner Landschaft spielte, und ist auch gleich ganz begeistert von den Schauspielern und ihrer Herkunft: Grigory Dobrygin, der an Jesse Pinkman (Aaron Paul) aus „Breaking Bad“ erinnert und irgendwann völlig paranoid wird, ist Sohn einer Ballerina und eines U-Boot-Offiziers; der Theaterschauspieler Sergej Puskalis „plant keine Karriere als Schauspieler“, wie es im Presseheft heißt, und hatte neun Jahre lang in Chukotka gelebt, nicht weit also von der arktischen Insel, auf der der Film spielt. DETLEF KUHLBRODT
■ „How I ended this Summer“, Regie: Alexei Popogrebsky. Mit Grigory Dobrygin, Sergei Puskepalis, RUS 2010, 129 Min. Läuft im fsk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen