KURZKRITIK: HENNING BLEYL ÜBER VIKTORIA MULLOVA : Die vielen Töne der Einen
warum hat eine Geige vier Seiten? Damit Bach vierstimmig für sie komponieren konnte. Damit Viktoria Mullova mit Bachs Solo-Partita auf dem Musikfest auftritt. Und damit ganz allein eine Vielstimmigkeit hervorruft, die daran erinnert, dass Bach vor allem ein Orgelmeister war.
Mullovas Meisterschaft besteht darin, diesen Klangstrom mit grandios leichtem Ton mal zu skizzieren, mal anschwellen zu lassen, bis sich das Liebfrauen-Kirchenschiff bis oben hin mit Bach anfüllt. Und wenn sich Mullova von Ottavio Dantone am Cembalo begleiten lässt, so dassdie vielen Stimmen ihrer einen Geige in ein noch breiteres Klanggewässer münden, zeigt sie auch ihre anderen Töne: etwa das warme, fast bratschige Volumen der lang gestrichenen Einsätze, bei denen man wieder an Orgelpunkte denken könnte – deren Raumnahme sich jedoch nicht den Mühen eines Blasebalgs verdankt, sondern einer fast unerklärlich mühelosen Ausbreitung, einer Aufschwebung, einer Klangwolke.
Schließlich, aber nicht zuletzt, ist Mullova auch eine Meisterin des Schlusstons. Wenn ihr Arm den finalen Klang aus der Geige zieht, sie dann die Stradivari absetzt, dasteht und all die Musik nachklingen lässt – dann wäre man wunschlos. Wenn nur die Leute nicht immer so elend früh zu Klatschen begännen.
Das Musikfest heute: SÕ Percussion, 21 Uhr im BLG-Forum