piwik no script img

Archiv-Artikel

Heute Tanzen!

SOZIOKULTUR Das Bremer Projekt „Freiräumen“ vermittelt Kulturschaffenden Flächen für ihre Projekte. Eines davon ist eine Mischung aus Café, Nachbarschaftstreff und Kulturladen namens Radieschen

Aus dem Radieschen soll ein Ort der „Begegnung und Erinnerung“ werden

Am Bremer Buntentorsteinweg bietet sich Passanten dieser Tage ein seltsamer Anblick: Dort, wo ehemals ein Blumenladen des Friedhofs einquartiert war und dann eine Zeit lang gar nichts mehr, herrscht seit einigen Tagen wieder Leben. Weiß gestärkte Decken liegen auf robusten Holztischen. Feine Porzellan-Tassen und zierliche Zuckerdosen laden zum Kaffee ein.

Kommt jedoch ein nichtsahnender Gast in das neue Radieschen, muss er feststellen, dass in diesem Laden Kaffee gar nicht so einfach zu bekommen ist. Zumindest nicht für Geld. „Aber einen Test können Sie bei uns machen“, sagt die Hausherrin Eva-Maria Oelker, als jemand nach Heißem fragt. „Füllen Sie dazu unseren Fragebogen aus – ach nein, die sind ja alle weg – dann beantworteten Sie die Fragen eben so.“ Also: Gehören Rosinen in den Käsekuchen? Welche Tageszeit ist am besten zum Kaffee trinken geeignet? Lesen sie beim Musikhören oder hören Sie lieber Musik beim Lesen? Schmeckt Bio wirklich immer besser? Zur Belohnung gibt es Süßes und Kaffee.

Geld für das, was im Radieschen auf diese Art über die Theke geht, nimmt Oelker nicht. Das darf sie auch gar nicht. Denn obwohl die Lokalität stark nach einem Café aussieht, ist sie bis jetzt offiziell noch keins – Oelker darf nichts verkaufen. In Deutschland kann aus einem Blumenladen nämlich nicht ohne weiteres ein Café werden. Erst muss eine amtliche Nutzungsänderung erfolgen.

Das Radieschen ist Teil des Projektes Freiräumen, bei dem das Kulturzentrum Schwankhalle gemeinsam mit der Zwischen-Zeit-Zentrale jungen Kreativen leer stehende Räume zur Umsetzung ihrer Ideen vermittelt. „Bis jetzt war das immer so, dass die Räume nur für kurze Zeit genutzt wurden“, sagt Anja Wedig, die das Projekt mitbetreut. Radieschen sei eines der ersten Projekte, bei denen ein dauerhafter Betrieb angestrebt werde. „Wir wünschen uns Verstetigung“, so Wedig.

Bis die Genehmigung erteilt ist, sollen Interviews mit Gästen und Fragebögen helfen, aus dem Radieschen einen Ort der „Begegnung und Erinnerung“ zu machen. Das Schild „Heute Tanzen“ an einer grünen Wand kündigt die musikalische Begegnung mit einem tanzfreudigen älteren Herren an.

Wedig spricht von Entschleunigung, davon, dass es gilt, in Städten solche Räume wie das Radieschen zu schaffen. Räume, bei denen man nicht weiß, ob sie nun ein Café, ein Nachbarschaftstreff, ein Kulturladen sind oder vielleicht ein bisschen von allem zugleich.

Das Warten auf die Genehmigung habe auch sie „entschleunigt“, sagt Wedig ironisch. Doch fehlende Einnahmen wären im Moment kein allzu großes Problem – das Radieschen sei nicht als kommerzieller Betrieb, sondern eher als ein Stadtteilprojekt geplant gewesen. Und Existenzgründung sei ohnehin immer schwierig, pflichtet Oelker ihr bei. JULIA ROTENBERGER