: Alles nebelhaft
Linksradikale von heute können mit der RAF kaum mehr etwas anfangen – man ist des Themas müde
VON FELIX LEE
Als sich die Entführung Hanns Martin Schleyers 1997 zum 20. Mal jährte, wimmelte es in den linken Szenevierteln der Groß- und Studentenstädte noch von Veranstaltungen rund um Stammheim und die RAF. Zehn Jahre später scheint das Thema die junge Generation der außerparlamentarischen Linken nicht mehr zu interessieren. „2007 ist das tatsächliche Ende der RAF“, sagt Norbert Wiesener, 24 Jahre, Aktivist aus der Hamburger Antifaszene. „Niemand mehr bezieht sich auf sie.“
Eine Suche im Internet bestätigt diesen Eindruck. Auf den einschlägigen Seiten der linken Szene finden sich nur wenige Artikel, die sich mit dem Deutschen Herbst beschäftigen. Eine Ausnahme bildet ein Text im Anti-Berliner, der Zeitung der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). Name des Autors: Klaus Viehmann, ehemaliges Mitglied der Bewegung 2. Juni. Sein Text war zuvor bereits in der linken Monatszeitung ak (früher Arbeiterkampf) abgedruckt. Jüngere Protagonisten meldeten sich allerdings bislang nicht zu Wort.
„Weder habe ich die RAF je als Speerspitze einer linken Bewegung gesehen, noch war sie sonst Teil von ihr“, sagt Cathrin Schrader, Aktivistin einer Initiative gegen Rassismus in Bremen. Die 33-Jährige habe noch nie mit den Aktionen der RAF sympathisiert. „Warum soll ich das an einem runden Jahrestag tun?“
Sie selbst verbindet nur nebulöse Erinnerungen mit der RAF. Fahndungsplakate in Bussen, Banken und Behördenzimmern mit Gesichtern drauf von jungen Menschen – die Männer mit Schnauzern, die Frauen mit gerade geschnittenem Pony – diese Bilder hätten sich schon ins Gedächtnis gefräst.
Meist Desinteresse
Natürlich habe sie später, als sie älter war, den „Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust gelesen, Biografien von Ulrike Meinhof und Berichte von und über andere Ex-Mitglieder der RAF. Aber: „Sie blieben mir fremd.“
Das Desinteresse in der außerparlamentarischen Linken zeigte sich schon im Frühjahr, als in der Öffentlichkeit über eine vorzeitige Entlassung der letzten inhaftierten ehemaligen RAF-Mitglieder Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, um die Deutungshoheit des Deutschen Herbstes debattiert wurde. Wenn überhaupt, meldeten sich sogenannte „Altlinke“ zu Wort – zumeist sich selbst rechtfertigend.
Eine Ausnahme ist Ingo Schmidt. Der 31-Jährige ist Mitglied bei Fels („Für eine linke Strömung“), einer Gruppe aus Berlin. Fels war im Frühjahr so ziemlich die einzige Gruppe, die mit einem eigenen Papier zur RAF-Debatte Stellung bezog. „Da kommt keiner auf die Idee zu fragen, ob es einem bürgerlichen Rechtsstaat angemessen ist, Menschen über 20 Jahre einzusperren, obwohl ihnen keine persönliche Verantwortung für die ihnen vorgeworfenen Taten nachgewiesen werden kann“, heißt es in dem Text. Und weiter: Dass die Sicherheitsbehörden immer noch so überzogen gegen politisch Unliebsame vorgehen, habe sicherlich auch damit zu tun, dass „die skandalöse Justizpraxis der 1970er und 1980er Jahre nie aufgearbeitet wurde“.
Natürlich hat Stammheim ihn geprägt, sagt Fels-Freund Schmidt. Selbst aufgewachsen in Stuttgart, erinnert er sich an linke Pilger, die an den Gräbern von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe auf dem Dornhaldenfriedhof vorbeigingen und hinterher vom Verfassungsschutz „angequatscht“ wurden. 1997 hat er selbst Veranstaltungen zum bewaffneten Kampf organisiert und etwa den Wahlverteidiger von Baader, den Autor und Anwalt Peter O. Chotjewitz, eingeladen. Angelehnt an Franz Kafkas Buch „Der Prozess“ schilderte der Anwalt in einem Buch die Sympathisantenhetze in den Siebzigerjahren.
Warum Schmidt eine solche Veranstaltung 2007 nicht mehr organisiert? Ältere Genossen, für die das Thema vor 10 oder 20 Jahren noch eine relevante Auseinandersetzung war, seien kaum noch in der linken Szene anzutreffen, antwortet er. Vor allem aber sei der bewaffnete Kampf für linke Politik überhaupt keine Option gegenwärtiger Politik mehr. Seine Gruppe habe die Blockaden gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm mit organisiert. „Heutzutage ist es viel wichtiger, überhaupt politische Erfahrung zu sammeln und anpolitisierten Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich zu engagieren“, meint Schmidt.
Diese Haltung scheint die heutige Generation von ihren Vorgängern zu unterscheiden. Während einst noch erbittert um die richtige Linie gestritten wurde, sind linke Aktivisten von heute darum bemüht, überhaupt neue Mitstreiter zu gewinnen. Bloß weg von der Sektiererei, lautet der Leitspruch der heutigen Aktivisten. Linksradikale Politik sei sowohl von ihrer Form der Organisierung als auch ihrem aktivistischen Auftreten auf Demos oder Aktionen sehr ausschließend gewesen, gibt Aktivist Ingo Schmidt zu bedenken. „Das muss sich ändern.“
Irak statt RAF
Und dennoch: Schmidt findet es bedauerlich, dass es in der Linken kaum mehr eine Auseinandersetzung über die RAF gibt. Dabei gebe es aktuelle Bezüge zur Genüge. „Terrorismus hat seit dem 11. September 2001 eine komplett andere Bedeutung erhalten. Wer jeden Abend in der Tagesschau von Anschlägen im Irak, zig Toten und weltweitem Terrorismus hört, übersieht schnell, was den Leuten konkret vorgeworfen wird, wenn sie in Deutschland nach 129 a verhaftet werden“, sagt Schmidt. „Alles verschwimmt im Begriff des Terrorismus.“ Ein Effekt, den der Staat dazu nutze, unliebsame linke Bewegungen mundtot zu machen, aber von immer weniger Kräften angeprangert werde.
Obendrein, klagt Schmidt, trügen Medien das Ihre zur allgemeinen Verdrossenheit bei. Vor einigen Jahren habe es tatsächlich eine Diskussion gegeben, inwiefern eine neurophysiologische Abweichung Ulrike Meinhof zum Terrorismus brachte. Die Politik der RAF sei so pathologisiert worden. Schmidt: „Das war so absurd, dass es gar nicht möglich war, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“
FELIX LEE, Jahrgang 1975, ist Redakteur im Berlinteil der taz