: Der Knacki und der Welpe
Mit Jan Hinrik Drevs „Underdogs“, einem Film über den Knast im Knast, hat im Rahmen des heute startenden Oldenburger Filmfestivals erstmals ein Film in der dortigen Justizvollzugsanstalt Weltpremiere. Und er bewegt sich jenseits aller Klischees
von WILFRIED HIPPEN
Noch bevor man das erste Bild des Films sieht, hört man auf der Tonspur wieder dieses Geräusch: Das Rasseln von Schlüsseln und das Aufschließen eines schweren Schlosses. Bevor man überhaupt in den Raum gelangt, in dem der Film gezeigt wird, hat man es oft hören müssen, denn im Gefängnis ist es allgegenwärtig.
Zehn gepanzerte Türen müssen vor dem Zuschauer geöffnet und wieder verschlossen werden. Diese Erfahrung wird eindrücklicher in Erinnerung bleiben als jedes Detail des gezeigten Films. Natürlich ist man Gast, und nach der Veranstaltung werden all die Türen wieder aufgeschlossen. Aber während der Vorführung sitzt man neben Menschen, für die diese Türen für lange Zeit verschlossen bleiben.
So wird es morgen Nachmittag etwa 30 Besuchern des Oldenburger Filmfestivals gehen, wenn sie die Weltpremiere des Spielfilms „Underdogs“ in einer neuen Spielstätte erleben. Schon im letzten Jahr gab es in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg mit der Uraufführung der Dokumentation „Mein Freund der Mörder“ von Peter Fleischmann eine Veranstaltung im großen Saal des Gefängnisses, bei der Insassen gemeinsam mit Zuschauern den Film über einen verurteilten Straftäter sahen.
Sowohl im Knast als auch in der Öffentlichkeit waren die Reaktionen darauf so positiv, dass Anstaltsleiter Gerd Koop und Filmfestleiter Torsten Neumann entschieden, in diesem Jahr nicht nur eine Premiere in der JVA stattfinden zu lassen, sondern dort gleich fünf Filme zu zeigen, die zudem auf dem anstaltseigenem Fernsehkanal in alle Zellen übertragen werden.
Das Hochsicherheitsgefängnis Oldenburg wurde in einer NDR-Reportage als „Das Alcatraz des Nordens“ bezeichnet und gilt mit seinen 320 Insassen als eine der bestgeführten Haftanstalten des Landes. „Fordern und Fördern“ ist das Credo des Anstaltsleiters Gerd Koop, dem es nicht genügt, die Straftäter wegzusperren. Er hofft vielmehr, dass Kultur eine positive Entwicklung bewirken kann. Nach einer „Gefährlichkeitsanalyse“ werden nun bei jeder der Vorführungen rund 30 Gefangene zusammen mit den anderen Zuschauern einen Film des Festivals sehen.
Koop geht es auch darum, die Normalität des Strafvollzugs zu vermitteln. Er will das Bewusstsein dafür wecken, „dass die Gefangenen, nachdem sie ihre Strafe verbüßt haben, wieder unsere Nachbarn werden“, sagt er.
Nach dem positiven Echo des letzten Jahres geht er nun den nächsten Schritt. Das Oldenburger Filmfestival ist inzwischen für solche originellen Neuerungen bekannt. Vor einigen Jahren produzierte das Festival die beiden hochgelobten 99-Euro-Kurzfilmrollen. Und mit Christopher Coppola drehte immerhin ein Spross der berühmten Kinodynastie im Umland eine seiner TV-Shows, in der es ums Kochen und Motorradfahren ging.
Oldenburg machte sich mit solchen Projekten, schrägen Partys und einer sehr auf das US-amerikanische Independentkino konzentrierte Filmauswahl einen Namen als junges und wildes Filmfest. Jetzt, im 14. Jahr, scheint es mit diesem viel ernsthafteren Projekt erwachsen werden zu wollen: Mit „Underdogs“ haben die Veranstalter auch den idealen Film für eine Weltpremiere in der JVA gefunden. Von einem kleinen Ausbruch abgesehen, spielt der Film von Jan Hinrik Drevs nur im Gefängnis. Eine experimentierfreudige Direktorin startet dort ein Versuchsprojekt, bei dem fünf Insassen Blindenhunde ausbilden sollen. Man kennt ja die britischen Sozialkomödien, in denen Häftlinge eine Theatergruppe oder eine Fußballmannschaft bilden und dann meist den großen Ausbruch planen.
Der englische Titel dieses Films legt die gleiche Fährte, und es gibt eine ähnlich amüsante Ausgangsituation: schwere Jungs, die mit Welpen schmusen. Und es gibt die kleine Gemeinschaft von sehr unterschiedlichen Knastbrüdern.
Doch abgesehen davon geht Drevs einen ganz anderen Weg. Er vermeidet die üblichen Genrekonventionen und versucht stattdessen mit einer erstaunlichen Authentizität und Ernsthaftigkeit zu vermitteln, wie das Alltagsleben in einem deutschen Gefängnis heute aussieht. Und er hat mit dem Häftling Mosk einen Protagonisten, der nicht nur auf den ersten Blick alles andere als sympathisch wirkt. Der wegen Totschlags einsitzende Klotz von einem Mann hat sich gänzlich abgekapselt. Er scheint völlig verroht zu sein und zeigt nur Interesse am Kraftsport. Dies ist alles andere als ein Klischeeknacki, und es gelingt dem Schauspieler Thomas Sarbacher zu zeigen, dass der so unangreifbar wirkende Mann all diese Schutzmechanismen entwickelte, um im Knast nicht zerbrochen zu werden. Der junge Hund, den Mosk zuerst nur mit großem Widerwillen aufzieht, durchbricht langsam diesen Panzer, und wie der Inhaftierte damit fertig wird, ist so sensibel inszeniert, dass die meisten anderen Gefängnisdramen im Vergleich einfältig wirken.
Drevs beweist auch bei der Auswahl des Schauspielensembles ein gutes Händchen. Besonders überzeugt Hark Bohm als Hundetrainer, der auch bei den Häftlingen den passenden Befehlston findet. Und der Regisseur kann filmisch erzählen: So gibt es ein paar sehr effektive Montagen, bei denen direkt von einer Schlägerei zum Zuschlagen einer Tür geschnitten wird.
„Underdogs“ ist nicht nur für den „German Independence Award“, sondern auch für den Otto-Sprengler-Preis nominiert, der in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben wird, und ein Förderpreis für Erstlingsfilme von norddeutschen Regisseuren ist.
Das Internationale Filmfest Oldenburg beginnt heute Abend und endet Sonntag mit der Preisverleihung.