: Besinnung aufs Wesentliche
MINIMALISMUS Mit dem Soziologen hat Techno-Produzent Daniel Bell mehr als nur den Namen geteilt: den Sinn für die richtige postindustrielle Reduktion
Sie hatten viel mehr gemeinsam als den Namen: Daniel Bell, der Techno-Produzent und -DJ und Daniel Bell, der Anfang des Jahres verstorbene Soziologe. Letzterer hat Anfang der 1970er den Begriff der postindustriellen Gesellschaft geprägt, in der die Produktion weniger von Gütern, als vielmehr von Informationen abhängt. Wobei Wissen bedeutet: „neue Urteile“ oder „neue Darstellung älterer Ansichten“. Ersterer wiederum bereitet als eine der zentralen Figuren der dritten Welle des Detroit Techno seit Anfang der 1990er einer reduzierten Variante ebenjener postindustriellen Musik den Weg, die sich in der ehemaligen Automobilindustriestadt nach dem Niedergang der großen Autobauer entwickelt hat.
Und „neue Urteile“ und eine „neue Darstellung älterer Ansichten“ haben dabei tatsächlich eine informative Rolle gespielt. Denn als Bell Ende der 80er von Toronto nach Detroit zog, um eigentlich Film zu studieren, hatte er längst Erfahrungen in Tonstudios gesammelt. Trotz seines ausgeprägten Interesses am Detroiter Techno, den er aus dem Radio kannte, war es vor allem der Hip-Hop und dessen Produktionsweisen, die Bell in Kanada schätzen gelernt hatte und nun in seine eigenen Techno-Tracks einbrachte.
Mit großem Erfolg. 1990 veröffentlichte Bell als „Cybersonic“ in Zusammenarbeit unter anderem mit Richie Hawtin das Stück „Technarchy“, das zum ersten Mal diesen nagenden Sägezahn-Synthie ins Zentrum stellte, der vor allem für die Entwicklung des europäischen House und Techno so wegweisend war. Aber Bell selbst wollte in dieser Richtung nicht weiter mitgehen, stattdessen „grooviger, konzentrierter, langsamer“ arbeiten.
Mit seinen Stücken auf den eigenen Labels „7th City“ und Accelerate, auf dem er seine maßgeblochen Tracks als DBX veröffentlichte, schrieb Bell dann weiter Techno-Geschichte. Organisiert eure Stücke um einen einzigen Klang, lautete die Devise, die Bell vom Hip-Hop einbrachte. Er reduzierte konsequent ab 1991 zunehmend alles, was an Resten klassischer Songs im Techno übrig geblieben war. Und brachte damit auf den Punkt, was den Minimalismus im Techno ausmachen sollte, drei Jahre bevor Robert Hoods Album „Minimal Nation“ der neuen Ästhetik 1994 ihren Namen geben sollte: „Blip, Blurp, Bleep“, einfache Maschinen, ein gleichsam hackerethisches Herangehen an die Musik. Statt aufgedonnerter Produktionen Besinnung auf das Wesentliche. Bell produzierte nicht mehr – er reduzierte.
Irgendwann war ihm dann Amerika nicht mehr progressiv genug und er zog 2000 dorthin, wo er die meisten Produzenten inspiriert hat – und wo mittlerweile die interessanten Tracks herkamen: nach Europa, Berlin. Morgen Abend macht die Minimal-Legende einen Abstecher nach Hamburg, unterstützt wird er von Lawrence und den „Smallpeople“ Dionne und Julius Steinhoff. ROBERT MATTHIES
■ Fr, 14. 10., 23.59 Uhr, Ego, Talstraße 9