Seit 30 Jahren parteiisch

Die Hamburger Autonomen Frauenhäuser feiern 30-jähriges Bestehen. Das bedeutet 30 Jahre Ringen um Gelder, Kämpfen gegen Schließung und Gängelung durch die Behörde. Und es bedeutet Solidarität durch die HamburgerInnen und Zuflucht für Tausende von Frauen unterschiedlichster Herkunft

von FRIEDERIKE GRÄFF

Einen Moment lang haben sie überlegt, ob das 30-jährige Jubiläum überhaupt ein Grund zum Feiern sei. 30 Jahre Frauenhäuser, das bedeutet schließlich auch 30 Jahre Gewalt gegen Frauen. „Als sie gegründet wurden, hatten die Frauen die Illusion, dass diese Häuser einmal überflüssig sein würden“, sagt Verena Roller-Lawrence vom vierten Hamburger Frauenhaus. „Ich habe es nicht geglaubt“, meint dagegen Marion Klußmann vom Verein „Frauen helfen Frauen Hamburg“.

Tatsächlich sind die Hamburger Frauenhäuser voll besetzt: 2003 suchten dort mehr als 1.800 Frauen Zuflucht. Neben den vier autonomen Einrichtungen – zwei Häuser sind kürzlich fusioniert – gibt es auch ein Angebot der Diakonie. Kein Anzeichen also, dass der Bedarf zurückginge. Am Zulauf hat auch das neue Gewaltschutzgesetz nichts geändert. Das erlaubt zwar der Polizei, einen Misshandler aus der Wohnung zu weisen. Aber es nimmt den Frauen, die in der Wohnung bleiben, nicht die Angst, dass er ihnen auflauert, sie bedroht.

Es ist nicht einfach, den Mitarbeiterinnen neue Zahlen zu entlocken. Statistik ist nicht ihre Hauptsorge – und noch viel weniger, seitdem der Senat 2003 von ihnen verlangte, die Namen der aufgenommenen Frauen herauszugeben. Sie weigerten sich. Erfolgreich. „Dort interessiert nur: Aufenthaltsstatus, Kinderzahl, schon ist das Kästchen fertig“, sagen die Mitarbeiterinnen. So denken sie nicht. Sie denken so wenig in Kästchen, dass man kaum etwas Allgemeines von ihren hört.

Es sind nicht nur Ungelernte, die zu ihnen kommen, sondern auch Akademikerinnen, Junge wie Alte – die Älteste war 84 Jahre alt –, Deutsche und Ausländerinnen, Frauen mit und ohne Kinder. Was diese Frauen verbindet, ist, dass sie keine andere Zuflucht haben, keine Freunde oder Verwandte, die sie aufnehmen würden. Tatsächlich sind viele wirtschaftlich und von ihrer Bildung her in einer schlechten Position. Im Frauenhaus leben sie in einer Wohngemeinschaft – mit allen Vor- und Nachteilen. Mittlerweile zwar meist in 2- bis 3-Bettzimmern statt der alten 8-Bettzimmer, aber doch auf engem Raum.

Im Autonomen Frauenhaus hören diese Frauen, vielleicht zum ersten Mal, dass sie ein Recht haben auf Unversehrtheit, dass sie selbst entscheiden dürfen, ob sie aus dem Haus gehen wollen, dass sie Geld ausgeben dürfen und dass sie eigene Ressourcen haben. „Wir sind parteiisch“, sagen die Mitarbeiterinnen, und sie sind es gerne. Es ist eine der Grundideen des Hauses, dass die Bewohnerinnen mit anpacken. Dass sie Telefondienst machen, kochen, die Kinder betreuen. Sie sind es auch, die die Neuankömmlinge am Treffpunkt abholen. Es ist dabei Prinzip, die Frauen nicht aus ihren Wohnungen zu holen: „Es muss ihre eigene Entscheidung sein“, sagt Verena Roller-Lawrence. „Sie selbst müssen die Tür zuziehen.“ Das meiste lernten die Frauen voneinander: „Indem sie sehen, wie andere es gepackt haben.“

In den 30 Jahren, die es die Autonomen Frauenhäuser in Hamburg gibt, hat sich einiges verändert. Die Zahl der Frauen mit Migrationshintergrund hat zugenommen, seitdem arbeiten die Mitarbeiterinnen in interkulturellen Teams. Dennoch betonen sie, dass die Gewalt gegen Frauen „kein ethnisches Problem“ sei. Geblieben ist das Antragswesen: 2006 wurden die Zuwendungen der Sozialbehörde von rund 2,4 Millionen auf 2,2 Millionen gekürzt. Schwerer wiegt für die Frauenhäuser aber, dass der Antrag für eine nachgehende Beratung „jedes Jahr brav von uns gestellt und brav von der Behörde abgelehnt wird“, so sagt es Marion Klußmann. „Das ist ein Baustein, der wirklich fehlt.“

Einige der Frauen, die Zuflucht im Frauenhaus gesucht haben, kehren danach wieder in die alte Beziehung zurück, rund ein Drittel, schätzt Verena Roller-Lawrence. Aber das sei eine relative Zahl, da viele Frauen den Absprung aus der Gewalt-Beziehung erst nach mehreren Anläufen packten. „Es ist ein großer Schritt – mit und ohne Kinder.“ Die Mitarbeiterinnen müssen damit leben. Sie müssen auch akzeptieren, dass einige der Frauen sie hinterher auf der Straße nicht mehr wiedererkennen wollen. Dass sie andere Vorstellungen von Beziehungen haben als die Sozialarbeiterinnen.

Und dann sind da die Dinge, die sich tatsächlich geändert haben. Das Verhältnis zur Polizei zum Beispiel. Früher, sagt Verena Roller-Lawrence, sei es extrem schwierig gewesen, Polizeibegleitung für den Gang in die alte Wohnung zu bekommen, wenn die Frauen ihre persönlichen Habseligkeiten holen wollten. Heute sei das kein Problem mehr. Häusliche Gewalt werde nicht mehr als Misshelligkeit abgetan, und die Beamten seien froh, dass es mit den Frauenhäusern eine Anlaufstelle gebe.

Und dann gibt es einen Punkt, an dem die beiden Mitarbeiterinnen sogar ein bisschen euphorisch werden. Wenn sie sich an die Unterstützung erinnern, die sie bekamen, als sie sich gegen die Anordnung des Senats weigerten, eines der Häuser zu schließen. Sondern es einfach weiterführten. Das war 2004, und Verena Roller-Lawrence sagt, dass sie „noch nie so viel Solidarität“ gespürt habe: von Politikerinnen, Medien, Privatleuten. Und das über mehr als ein Jahr hinweg. „Es wurde so oft ausgesprochen, dass es keine Gewalt gegen Frauen geben dürfe“, sagt Verena Roller-Lawrence. „Aber dann gab es eben auch praktische Unterstützung dafür.“

Die Autonomen Frauenhäuser feiern ihr Jubiläum am 1. und 2. 10. um 20 Uhr mit dem Auftritt der Theatergruppe „Mutige Wege“ im Polittbüro. Am 6. 10. gibt es eine Party im Gemeindesaal der Apostelkirche (exklusiv für Frauen)