: Der Tanz gegen die Mainstream-Kultur
Die Hedonistische Internationale (HI) hat seit Samstag eine Hamburger Sektion. Zur Gründungsfeier zogen etwa 200 Demonstranten tanzend durch das Schanzenviertel und St. Pauli. Die HI will neue Protestformen praktizieren
Die Hedonistische Internationale (HI) ist ein seit 2006 bestehendes Netzwerk linker Gruppen. Am Wochenende wurde in Hamburg ihre 21. Sektion gegründet. Die HI versteht sich nicht als Organisation, sondern als Idee, nennt Hedonismus „keinen Motor einer dumpfen, materialistischen Spaßgesellschaft, sondern Chance zur Überwindung des Bestehenden“. Erreicht werden soll so Freude, Lust, Genuss und ein selbstbestimmtes Leben. Vor dem G 8-Gipfel besetzte die HI den Berliner Fernsehturm. Die nächtliche Eröffnung einer Mediamarkt-Filiale musste wegen einer Konsum-Jubel-Demo von der Polizei abgebrochen werden. Name und Programm der HI sind an die „Situationistische Internationale“ (S. I.) angelehnt. Die S. I. hat in den 1960er Jahren die Moderne als „würdelose rationalisierte Form des Überlebens“ kritisiert und mit radikalen, aber symbolischen Protestformen eine Einheit von Leben, Kunst und Selbstverwirklichung angestrebt. CJA
VON CHRISTIAN JAKOB UND ANNIKA STENZEL
Für die KünstlerInnen der „Situationistischen Internationale“ der 1960er Jahre war die Sache klar: Eine Trennung zwischen Kunst und Politik, die gibt es nicht. Sebastian Meier von der Hamburger Sektion der „Hedonistischen Internationale“ ist vorsichtiger. „Was wir im Moment machen, ist eigentlich klar politisch.“ Und trotzdem dreht sich alles um Kultur. Um Subkultur.
Mit einem „Demorave“ zogen am Samstag in Hamburg etwa 200 Menschen trotz strömenden Regens teils verkleidet, tanzend und jubelnd durch das Schanzenviertel und St. Pauli. Sie feierten die Gründung der Hamburger Sektion der Hedonistischen Internationale und demonstrierten gegen die Aufwertung der beiden Stadtviertel. Meier hatte mit mehr Teilnehmern gerechnet, doch „für dieses Wetter sind wir eigentlich genug“, sagt er.
Dass linke Gruppen immer weniger Zulauf haben und sich oft auflösen, liegt laut Bublitz nicht nur an Inhalten. „Die immer gleichen Demorituale sind nicht nur wenig effektiv, sondern auf Dauer auch langweilig“, findet er. „Wir wollen neue Protestformen praktizieren.“
Wirklich neu sind die Protestformen der HI allerdings nicht. Die Idee, nicht als geschlossener Schwarzer Block, sondern tanzend, kostümiert und mit lauter Technomusik auf die Straße zu gehen, hatten britische Anarchisten schon in den 90er Jahren. „Reclaim the Streets“ – „holt euch die Straße zurück“, hieß das damals.
Ungefähr das hat die HI auch vor. Es gehe nicht nur um ein identitätsstiftendes Mäntelchen für belanglose Party-Kultur, sagt Meier, der an der Universität Hamburg als Jurist arbeitet. Einer der HI-Slogans lautet „129 bpm statt 129a“. 129 beats per minute – das ist laut Meier der Rhythmus, „ab dem Tanzen ekstatisch wird“.
Ist der suggerierte Zusammenhang zwischen der Repression durch Anti-Terror-Gesetze und dem symbolischen „Feiern gegen die Verhältnisse“ nicht arg bemüht? Der Hamburger Historiker Florian Wilde, der auf dem Demo-Rave einen so benannten Redebeitrag hielt, verneint das. „Die Idee des Hedonismus ist die Bejahung des Lustprinzips.“ Indem man das nie eingelöste Glücksversprechen des Kapitalismus beim Wort nehme, entlarve man die Menschenfeindlichkeit der Verhältnisse. „Und das ist genauso subversiv wie Militanz“, sagt Wilde.
„Wir wissen ganz genau, wogegen wir sind,“ versichert Bublitz. Vor allem die so genannte Aufwertung des Stadtteils St. Pauli hat die HI im Visier. „Die Nähe von Schwulen- und Lesbenszene, Punks, KünstlerInnen und Polit-AktivistInnen macht St. Pauli zu einem besonderen Ort,“ meint Meier. Doch die Stadt sei dabei, die Einzigartigkeit des Viertels zu zerstören: „Man privatisiert den Spielbudenplatz, spricht Platzverweise für Punks aus, installiert Sprinkleranlagen, damit Obdachlose nicht schlafen können – und jetzt soll auch das öffentliche Trinken verboten werden.“
Demnächst zieht die größte deutsche Werbeagentur mit 600 Mitarbeitern in einen Neubau auf dem ehemaligen Gelände der Astra-Brauerei. „Damit die Werber in der Mittagspause ‚keine Angst mehr haben müssen‘ – so hat es die Stadt gesagt – werden jetzt die Randgruppen verjagt“, behauptet Meier.
Ähnliches gelte für die Behandlung der freien Kulturszene in der Stadt: „Ohne mit der Wimper zu zucken, werden Unsummen für Mainstream-Kultur, wie die Taufe eines ‚AIDA‘-Kreuzfahrtschiffes oder die Elbphilharmonie ausgegeben.“ Doch Subkultur, namentlich die vielen nichtkommerziellen Techno-Parties, würden nicht nur nicht gefördert, sondern von der Polizei aufgelöst, sagt Meier.
Ist es nicht schizophren, staatliche Förderung für Subkultur zu verlangen, die zur Subkultur überhaupt erst durch die Regelüberschreitung, durch die Verweigerung der Normierung wird? „Natürlich ist da auch ein Widerspruch“, sagt Meier. „Aber das ist kein Problem für uns. Wir lassen Widersprüche zu.“
Auf die Schwierigkeiten, die nicht nur der freien Techno-Szene, sondern fast allen autonomen kulturellen Projekten von der Stadt gemacht werden, könne man verzichten. Dabei sei sich die Szene des Spannungsfeldes bewusst, in das sie sich mit Appellen an den Staat begebe.
Ein Beispiel hierfür sei die bis 2013 geplante Internationale Bauausstellung (IBA) in Hamburg. In deren Rahmen habe der Senat Geld für 22 Kunstprojekte auf der Elbinsel Wilhelmsburg zur Verfügung gestellt. „Da sind tolle Sachen dabei, zum Teil auch von Freunden. Die sind froh, endlich mal Geld für ihre Arbeit zu bekommen“, sagt Meier.
„Und trotzdem ist klar: Diese Kunstprojekte sind die Vorhut, um auch diese Gegend aufzuwerten.“ Das als Problemviertel geltende Wilhelmsburg stehe als nächstes auf der Liste der StadtentwicklerInnen. Die sozialen Folgen, die derzeit in St. Pauli zu beobachten seien, träfen in einigen Jahren die ärmeren Bevölkerungsteile Wilhelmsburgs.