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Archiv-Artikel

TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Die Rache der Spießer von Frankfurt

Das Frankfurter Bahnhofsviertel wird auch immer sauberer. Es soll ja immer noch Menschen geben, die sich dort nicht hintrauen oder denen dort ein bisschen die Muffe geht. Wir sprechen von ungefähr fünf Straßen und einem Areal, das quadratmetermäßig gefühlte fünfmal in den Berliner Alexanderplatz passt. Rotlicht, Drogen, Migranten, Müll. Das war über Jahrzehnte hinweg die Gedankenkette, die eins zum anderen brachte.

Eine „Angst und Unsicherheit auslösende Zone“ soll es sein, das Viertel. Habe ich gelesen. In dem gerade erschienenen Buch von Martina Löw und Renate Ruhne. Es heißt „Prostitution. Herstellungsweisen einer anderen Welt“ (Suhrkamp 2011). Das hat mich interessiert, weil die beiden Soziologinnen Raum und Geschlecht als soziale Kategorien untersuchen. Das ist ein guter Ansatz. Und es ist ein gutes Buch für Soziologiestudentinnen und -studenten.

Dann stelle ich mir vor, wie zwei Soziologinnen einer Hure gegenübersitzen und ihr erzählen, dass sie untersuchen, wie der Raum der Prostitution in sozialen Prozessen produziert wird. Ich müsste da sehr lachen. An Stelle der Hure.

In den 1990ern noch galt es in poplinken Kreisen als schick, im Bahnhofsviertel zu leben. Nur in Nachbarschaft zum Elend war man in Frankfurt urban. Da, wo morgens mal wieder ein Junkie in den Hausflur geschissen hatte, wo die Kosovo-Albaner den lieben Tag lang ihr Hütchenspiel organisierten und der Lude von der Bar nebenan dich wie eine Prinzessin grüßte. Die Angstökonomie der anderen, der Langweiler und Spießer, sie war uns fremd. Wir ergötzten uns lieber an den Elendsstrukturen, um uns frei zu fühlen.

Wenn ich heute Frankfurt besuche, denke ich, Mann, sie rächen sich, die Langweiler und Spießer von damals. In ihren Augen stehen die Begriffe „Machbarkeit“ und „Wahl“. Dass jeder eine Wahl habe, daran glauben sie.

Sie machen mir Angst. Sie haben gesiegt. Auf den Straßen der Innenstadt. Wo sie massenhaft ihre dunkelblauen Dino-Limousinen fortbewegen wie Patrouillen in einem Dschungel, in dem es längst kein Leben mehr gibt. Welch skurriles Bild. In Wirklichkeit.

Die Autorin ist Redakteurin für das Politische Buch Foto: privat