: „Wenn man cool ist, bleibt man cool“
HAUSBESUCH Carl spielt Gitarre, Jessie näht gern, und manchmal fahren sie zusammen zum Tätowierer. Der soll ihnen auch irgendwann die Eheringe stechen. Zu Besuch im brandenburgischen „Hardrockhausen“
VON ANJA MAIER (TEXT) UND LIA DARJES (FOTOS)
Zehdenick in Brandenburg, Landkreis Oberhavel, sechzig Kilometer nördlich von Berlin. Zu Hause bei Carl Seehausen, 30, und Jessika Heflik, 31, genannt Jessie. Als „Oberhavel“, auch „Hardrockhausen“ hat der Autor Moritz von Uslar das 14.000-Einwohner-Städtchen in seinem Buch „Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung“ bezeichnet. Carl Seehausen spielt darin als Gitarrist der Band 5 Teeth Less eine tragende Rolle.
Draußen: Eine ehemalige Brauerei, gelegen in einer Seitenstraße nahe der Havel. „Aus dem alten Kessel habe ich eine schöne Grillschale gemacht“, erzählt Carl. Hinter dem hohen Brettertor, über den betonierten Hof, geht es in den noch unverputzten Anbau. An der Seite lagern ordentlich auf Paletten Baumaterialien. Das Leben ist eine Baustelle.
Drin: Küche, Ess- und Wohnzimmer gehen türlos ineinander über. Niedrige, aber großzügige Räume. Geflieste Böden, ein lachsfarben gestrichenes Küchenbüfett, pastellige Wände. Im Bad wartet auf dem Rand der Eckbadewanne eine Quietscheentchensammlung. Im Wohnzimmer grüßt die weiß bezogene Eckcouch den Flachbildfernseher. Auf dem Tisch ein Daddel-Controler, auf der Couch Kissen, Plüschtiere, ein Stillkissen. Stolz zeigt Carl das von Jessie bestickte Ellie-Kissen. Ellie – „mit ie“ – ist im Juni 2014 geboren und „nur super“, sagt Carl. „Wir beschweren uns gerade nicht.“
Wer macht was? Jessie ist noch bis zum Sommer in Erziehungszeit. Bis zu Ellies Geburt war sie in Berlin stellvertretende Marktleiterin bei Penny. Anfangs hatte sie Schwierigkeiten, zu Hause zu sein, „aber jetzt genieße ich das“. Wenn Ellie in die Kita kommt, will Jessie noch mal umschulen. Eigentlich ist sie Friseurin, inzwischen kann sie sich vorstellen, Ergotherapeutin zu werden. „Ich bastle und nähe gern.“ Carl hat mal Trockenbaumonteur gelernt, dann jahrelang gejobbt: „als Abrissarbeiter, Waldarbeiter, ich hab auch Müll sortiert“. Mittlerweile absolviert er eine berufsbegleitende Ausbildung zum Heilerziehungspfleger.
Wer denkt was? „Man wird ruhiger“, sagt Carl. Trotz Kind wollen die beiden sich nicht den Erwachsenen-Standards hingeben. „Um acht ins Bett, so was fällt bei uns aus. Wenn man cool ist, bleibt man cool.“ Manchmal fahren sie zusammen mit dem Auto nach Nauen zu ihrem Tätowierer – einer geht mit Ellie spazieren, der andere lässt sich was Neues stechen. In der Wohnung, versteckt hinter zwei dicken Türen, hat Carls Band ihren Probenraum. Seit 2002 gibt es 5 Teeth Less, Carl spielt Gitarre. Sein Musikername ist Alive, Bruder Paul heißt Rusty, der Schlagzeuger Toxic und der Sänger Spooner. Nach dem Erscheinen von Uslars Buch 2012 und der Verfilmung von „Deutschboden“ 2014 gab es einen kleinen Hype um die Band. Vorbei. „Der Alltag ist wieder eingekehrt.“
Jessie: Sie fragt sich, wie es nach dem Babyjahr für sie weitergeht. „Ich bin kein Mensch, der zu Hause rumsitzt. Ich war noch nie arbeitslos, das möchte ich nicht.“
Carl: Seit Ellies Geburt hat er „Angst um die Kleine. Es wird immer mehr aufgerüstet – was kann daraus noch werden?“ Krieg findet er „generell Kacke“. Aktuell ärgert ihn die Debatte über eine neu eröffnete Flüchtlingsunterkunft in der Kreisstadt. „Diese Leute haben sich das bestimmt nicht ausgesucht“, sagt er, und dass die Deutschen doch alles haben, „Arbeit, ein Dach überm Kopf, Hartz IV, wenn sie wollen“.
Das erste Date: „Ganz furchtbar“, sagt Jessie. „Ich war froh, als es vorbei war“, sagt Carl. Sie haben sich über das Internet kennengelernt, das erste Treffen fand auf einem Baumarkt-Parkplatz auf halber Strecke zwischen Zehdenick und Falkensee statt. Zwei Tage später hat Jessie Carl überraschend zu sich nach Hause eingeladen, DVD gucken. „Der Abend war dann gut.“ Ein Jahr später ist sie zu ihm gezogen.
Heiraten? „Müssen wir, die Kleine hat schon meinen Namen“, sagt Carl. Noch fehlt der Antrag. Jessie: „Ohne Antrag gibt’s hier nüscht.“ Gefeiert wird auf einer Insel in der Havel, die Carls Familie gehört, das steht schon fest. 1.500 Quadratmeter, Obstbäume, ein paar Schafe. Am liebsten würden sie sich auf der dazugehörigen Seilfähre trauen lassen. Jessie: „Und unser Tätowierer tätowiert uns vor Ort die Ringe.“ Dazu eine große Party. Carl: „Wenn jeder locker ist, das sind die besten Partys.“
Der Alltag: Wenn Carl Weckdienst in der Behinderteneinrichtung hat, steht er um 5.30 Uhr auf. Um 8.30 Uhr ist er wieder zu Hause. Frühstück, dann einkaufen, Mittagessen kochen oder am Haus bauen. Jessie und Ellie immer dabei. Um 14 Uhr fährt er wieder zur Arbeit, sein Tagdienst dauert bis 20 Uhr. „Wenn ich Glück habe, sehe ich die Kleine noch.“ Abends geht er manchmal rüber in den Probenraum oder er macht Hausaufgaben für die Berufsschule. Manchmal schauen sie zusammen eine „schöne Serie“ auf DVD. „Ich boykottiere seit vier Jahren das Fernsehen; das ist die größte Verblödung“, sagt Carl.
Wie finden Sie Merkel? „Ich interessiere mich dafür gar nicht“, sagt Jessie. „Wir gehen wählen, aber im Endeffekt ändert sich politisch nichts.“ Carl findet, Merkel verliere an Glaubwürdigkeit. „Auch die Lust daran, was sie gerade macht.“
Wann sind Sie glücklich? Carl: „Wenn ein Song rauskommt, den wir geschrieben haben. Mit diesem Ohrwurm auf der Havelinsel sitzen und angeln. Gucken, was kommt.“ Jessie: „Nähen und basteln sind für mich Entspannung und Glück. Man kann sich da schön drin verlieren.“
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