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Archiv-Artikel

Bodenhaftung und Visionen

betr.: „Grüner Abschied von der Utopie“, taz vom 8. 10. 07

Niemand bei den Berliner Grünen will eine Gesellschaft, „wo Millionen Betroffene von den Ämtern gegängelt, geprüft und überwacht werden“ (Hans-Christian Ströbele, taz vom 8. 10. 07), egal für welche der beiden Anträge zur zukünftigen Sozialpolitik wir beim Landesparteitag gestimmt haben. Der von Barbara Oesterheld eingebrachte Antrag und der Antrag von Felix Tintelnot, bei welchem auch ich mitgewirkt habe, hatten viele Gemeinsamkeiten und es ist schade, dass eine Polarisierung unausweichlich war. Unausweichlich, weil der Antrag pro bedingungsloses Einkommen – trotz des Versuches, es moderat anzugehen – unausgegoren war und zuvörderst Probleme und Ängste der Mittelschicht ansprach, die trotz durchschnittlich guter Bildung heute in Gefahr ist, ihren Status und ihren Lebensstandard zu verlieren. Keinerlei Antworten gab der Antrag für Gesellschaftsgruppen, deren Situation noch prekärer ist. Die eine Besserung ihrer Soziallage dringend benötigen (Jugendliche ohne Schulabschluss, Menschen mit Migrationshintergrund), die von Langzeitarbeitslosigkeit besonders stark betroffen sind. Genauso wenig zu dem bedenklichen Zustand der sozialen Infrastruktur in Berlin: wie Schulen, Kitas und Pflegeeinrichtungen.

Eine Vision über Hartz IV hinaus ist für die Mehrheit in unserer Partei kein Tabu. Wir alle wollen, dass Menschen bei Arbeitslosigkeit zuerst die Chance erhalten, sich selbstbestimmt zu helfen, und erst dann Angebote von Jobzentren erhalten. Eine neue Vision muss das Ziel haben, eine bessere Perspektive und gesellschaftliche Teilhabe für all diejenigen zu erreichen, die heute bereits ausgegrenzt sind. Vom vorgelegten Konzept eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ würden nämlich vorwiegend die fitten und eher erfolgreichen Menschen profitieren. Kranke, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige würden ihre besonderen Bedarfe, ohne die sie nicht leben können, nach wie vor nachweisen und beantragen müssen. Wo bleibt hier der Ruf nach Gerechtigkeit und Würde?

Die Debatte um die Anträge zeigt, dass es einen Bedarf an Diskussion um die Zukunft der Sozialsysteme gibt, der viele beschäftigt, und dass diese Diskussion weitergehen muss. Meiner Landesvorsitzenden Barbara Oesterheld kann ich versichern, dass uns die Mühen des Alltags nicht immun für Utopien gemacht haben und wir die weitere Suche nach gemeinsamen Visionen ausdrücklich begrüßen.

JASENKA VILLBRANDT, Sozialpolitische Sprecherin der

Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin

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