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Archiv-Artikel

Kritik an Kiesabbau in der Nordsee

Umweltverbände wollen den großflächigen Abbau von Sand und Kies in der Nordsee mit einer Beschwerde bei der EU stoppen. Die Förderung zerstöre den Lebensraum von Pflanzen und Tieren im ausgewiesenen Flora-Fauna-Habitat

460 Tonnen Kies benötigt jeder Deutsche in seinem Leben – natürlich nur rein statistisch, weil das Material meist in Haus- und Straßenbau verwendet wird. Ein Großteil des deutschen Kieses kommt aus der Nordsee. Da bei seiner Gewinnung im Sylter Außenriff 40 Kilometer westlich der Insel offenbar nicht alles mit rechten Dingen zugeht, haben WWF, BUND und Nabu nun eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht.

Die Umweltverbände wollen den großflächigen Sand- und Kiesabbau in dem vor kurzem von der EU zum Fauna-Flora-Habitat (FFH) erklärten Gebiet stoppen. Förderschiffe würden den Meeresboden der Nordsee absaugen und so die Kinderstube von Schweinswalen, Seehunden, Kegelrobben und Kabeljau, aber auch die Nahrungsgrundlage von Vögeln wie den Seetauchern zerstören.

„Es ist ein Skandal, dass deutsche Behörden immer neue Genehmigungen in Gebieten erteilen, die schon vor Jahren als Schutzgebiete nach Brüssel gemeldet wurden“, sagt der WWF-Experte Uwe Johannsen. Der Naturschutz werde so „mit Füßen getreten“. Die deutsche Genehmigungspraxis verstoße gegen europäische Umweltgesetze. Offenbar halten sich die Kiesschiffe der Hamburger Firma OAM-Deme zudem nicht an die ökologisch wertvollen Schutzzonen, wie kürzlich gefundene Baggerspuren belegten, die Taucher der Universität Kiel gesichtet haben sollen.

Seit 2002 wird im Sylter Außenriff Sand und Kies gefördert, allein hier sollen 280 Millionen Tonnen Sand und Kies von den Saugbaggern ans Tageslicht gebracht werden. Bislang hat OAM-Deme die Genehmigung für zwei 85 und 100 Quadratkilometer große Felder beantragt. Dabei will sie eine bis zu 2,60 Meter dicke Schicht des Meeresbodens mit den darin lebenden Pflanzen und Tieren absaugen – bis zu einer Million Kubikmeter im Jahr. Um diese Menge zu transportieren, wäre eine Sattelschlepper-Schlange von Hamburg nach München und zurück nötig. Beim Kiesabbau wird überflüssiges Material wieder ins Meer geschüttet. Dadurch bildet sich am Boden eine Schlammschicht, unter der Tiere und Pflanzen ersticken: Der Lebensraum von Trogmuscheln, Seeigeln, Borstenwürmern, Lanzetttierchen und Sandaalen wird zerstört.

Schweinswale wie Seevögel verlieren so ihr Futter, meinen die Naturschützer. Zudem irritiere der Baggerlärm das sensible Gehör der Schweinswale. Immerhin: Im Gegensatz zu den Ostsee-Schweinswalen gelten ihre Artgenossen in der Nordsee bisher als nicht bedroht. Der Bestand wird auf 230.000 Tiere geschätzt.

Im Zentrum der Kritik steht das Landesbergamt in Clausthal-Zellerfeld, dass die Schürfrechte zu leichtfertig vergeben haben soll. In den Genehmigungsverfahren seien die Einwände von Naturschutzbehörden und Umweltschützern ignoriert worden, kritisieren WWF, BUND und Nabu. Ebenso stört sie, dass Sand und Kies aus der deutschen Nordsee von OAM-Deme auch in den Benelux-Ländern vertrieben wird. Die dortigen Vorkommen liegen in Naturschutzgebieten. KAI SCHÖNEBERG