VOM VERSUCH, NETT ZU SEIN : Saisonale Bärte
An der S-Bahn-Station Prenzlauer Allee steht ein Weihnachtsmann und versucht, Abos der Berliner Zeitung an den Mann zu bringen. Sein Bart sieht richtig Scheiße aus. Wie selbst gemacht. Aber ohne Liebe. Der Bart sieht aus, als hätte der Weihnachtsmann ihn aus einer halben Packung Watte und Klebstoff zusammengebastelt. Aber er hätte auf jeden Fall eine ganze Packung Watte nehmen sollen, denke ich mir. Der Bart ist nämlich schon ganz ausgeleiert. Und rauchen sollte der Weihnachtsmann auch besser nicht. Der Bart ist nicht nur ausgeleiert, sondern auch nikotingelb um den Mund herum.
„Berliner Zeitung“, nuschelt der Weihnachtsmann durch seinen hässlichen Bart, als ich vorbeilaufe. „Die Zeitung nehme ich gern“, sage ich, „aber ohne Abo.“ „Na ausnahmsweise, weil heute Nikolaus ist“, sagt der Weihnachtsmann mürrisch und fängt schrecklich zu husten an. „Stellt dir eigentlich die Berliner Zeitung den Bart?“, frage ich dankbar für die Zeitung ohne das übliche Abogelaber. Der Weihnachtsmann schüttelt den Kopf „Oder hast du ihn selber gemacht?“, füge ich interessiert hinzu. Das Husten ist inzwischen in ein verschleimtes Röcheln übergegangen. Er war nett zu mir, denke ich, deshalb bin ich jetzt nett zu ihm und sage einfach die Wahrheit über seinen Bart. „Weil, dann hättest du eine ganze Packung Watte nehmen sollen“, sage ich. „Der Bart ist echt“, sagt der Weihnachtsmann.
Ich hasse saisonale Verkleidung, besonders, wenn sie ohne Liebe gemacht ist. An der Supermarktkasse heute Morgen saß ein junger Mann, der sich wahrscheinlich als Rudolf verkleiden wollte. Aber es hat nicht funktioniert. Das Einzige, was er dafür getan hat, war, sich ein Plüschgeweih aufzusetzen. Er hatte sich nicht einmal die Nase rot gefärbt. Deshalb habe ich sein Geweih auch keines Blickes gewürdigt. Obwohl er versucht hat, wie ein Rentier zu gucken, glaube ich.
MAREIKE BARMEYER