: Merkel sagt „Njet“ zu weiteren Sanktionen
AUSSENPOLITIK Die Kanzlerin und der ukrainische Präsident Poroschenko treffen sich in Berlin
PETRO POROSCHENKO
BERLIN taz | Gesprächsbedarf im Bundeskanzleramt: Eine Stunde sollte am Montagmittag das Arbeitsessen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko dauern. Am Ende redeten die beiden beinahe zwei Stunden über den Krieg in der Ostukraine, Reformen in Kiew und die Einhaltung des Minsker Friedensabkommens. Auf eines konnten sich Merkel und Poroschenko dabei einigen: Am gemeinsamen Friedensfahrplan aus dem Februar wollen sie festhalten.
„Es gibt keine Alternative zu Minsk“, sagte Poroschenko, der zum Staatsbesuch in Berlin weilte, nach dem Treffen mit der Kanzlerin. „Beide Seiten“, die Ukraine und die prorussischen Separatisten also, „müssen die Bedingungen des Abkommens erfüllen.“ Ein kleiner Rückzieher also: In einem Interview mit der Bild-Zeitung hatte sich Poroschenko von der Minsker Vereinbarung distanziert. Auf die Frage, ob die Pläne vom Februar schon gescheitert sind, antwortete er: „Die Wahrheit ist, dass das Abkommen nicht funktioniert.“
Dass die Separatisten sich nicht an die Vereinbarung halten würden, wiederholte der ukrainische Präsident aber auch nach dem Termin im Kanzleramt. „Wir halten die vereinbarte Feuerpause ein. Andere erfüllen die Bedingungen nicht“, sagte Poroschenko. Während seine Regierung mit den unabhängigen Beobachtern der OSZE zusammenarbeite, ihnen etwa die Inventarnummern schwerer Waffen zur Verfügung stelle, würden die Separatisten im Osten der Ukraine noch immer nicht ausreichend mit den OSZE-Beobachtern kooperieren. Außerdem verletzten die Separatisten die Würde ukrainischer Kriegsgefangener, indem sie diese auf den Straßen ostukrainischer Städte zur Schau stellten.
Merkel bemängelte, dass internationale Hilfstransporte keinen ausreichenden Zugang in die umkämpften Gebiete hätten. „Leider ist es noch nicht gelungen, dass das Internationale Rote Kreuz ausreichend Zugang zu den Gebieten um Donezk und Lugansk hat. Das muss sich verbessern“, sagte sie.
Mit Kritik an ihrem Besucher oder der ukrainischen Armee hielt sich die Bundeskanzlerin zurück. „Es war nicht die Ukraine, die etwas in Russland annektiert hat; sondern Russland, das die Krim annektiert hat“, sagte Merkel.
Poroschenkos Wünsche erfüllte die Kanzlerin allerdings nicht. Vor dem Besuch in Berlin hatte der ukrainische Präsident eine Erweiterung der EU-Sanktionen gegen Russland ins Gespräch gebracht. Merkel winkte am Montag ab – vorerst. „Wir sind bereit zu notfalls neuen Sanktionen, die aber kein Selbstzweck sind“, sagte sie zwar. Bevor die Europäische Union die Sanktionen erweitere, müsste aber zunächst eine neue Lage entstehen. Als möglicher Anlass für neue Sanktionen gilt vor allem ein möglicher Vormarsch der prorussischen Kämpfer auf die ukrainische Küstenstadt Mariupol.
Auch einen anderen Vorschlag des Ukrainers lehnte Angela Merkel ab. Poroschenko hatte im Vorfeld gesagt, wenn im Jahr 2018 noch russische Truppen in der Ukraine stünden, könne er sich nicht vorstellen, dass die Fußball-Weltmeisterschaft wie geplant in Russland stattfinden wird. Einen möglichen Boykott der WM unterstützt Merkel vorerst nicht. „Ich konzentriere mich auf 2015, danach kommt 2016, und da findet erst einmal eine Europameisterschaft statt, auf die ich mich sehr freue.“
Vor dem Gespräch mit Merkel hatte Poroschenko bereits Bundespräsident Joachim Gauck getroffen. Am Nachmittag besuchte er verwundete ukrainische Soldaten, die derzeit in Berlin behandelt werden. TOBIAS SCHULZE