: Vorhang zu – alle Fragen offen
SCHRECKENS-GESCHÄFTE Donald Margulies’ „Zeitstillstand“ diskutiert kontroverse Positionen zur Kriegsberichterstattung. Antworten liefert das Stück bewusst keine
VON ULRICH FISCHER
Es ist das publizistische Geschäft mit dem Schrecken, das Donald Margulies – in seiner Heimat, den Vereinigten Staaten, ein Dramatiker und Drehbuchautor mit klingendem Namen – in seinem neuen Schauspiel „Zeitstillstand“ diskutiert. In dessen Mittelpunkt steht ein Paar: Sarah und James, Ende 30, Anfang 40, sind Kriegsberichterstatter. Sarah hat sich als Fotografin einen Namen gemacht, James versucht sich mit Texten zu profilieren.
Die Handlung setzt ein, als Sarah, bei einem Anschlag verletzt, zur Genesung nach Hause, nach New York, zurückkehrt. James ist in ihrem schicken Loft (Bühne: Raimund Bauer) um sie bemüht. Bald bekommen sie Besuch von ihrem Redakteur. Er will nicht nur nach Sarah schauen – er ist auch und vor allem an ihren Bildern interessiert. Seine junge, zunächst eindimensional naiv scheinende Freundin schaut sich die schrecklichen Bilder an und fragt schließlich, warum Sarah nicht geholfen habe: Die Kamera beiseite gelegt, und zunächst einmal geholfen! Das sei nicht ihre Aufgabe, erwidert Sarah heftig, ihre Aufgabe sei es, Bilder zu schießen.
Dieser Konflikt ist Ausgangspunkt einer in- wie extensiven Diskussion über die Frage, was Kriegsjournalismus soll, was er tut. Der amerikanische Dramatiker lässt kein heißes Eisen aus: Ist es nichts als ein Geschäft, macht man mit Kriegsbüchern Profit? Warum setzt sich Sarah dieser Gefahr aus? Ist sie engagiert oder sucht sie den ultimativen Kick?
Bei seiner Erstaufführungsinszenierung arbeitet Ulrich Waller heraus, dass Margulies ganz bewusst selbst keine Stellung bezieht. Der Dramatiker will Standpunkte referieren – die Entscheidung soll jede Zuschauerin, jeder Zuschauer selbst treffen. Wallers Inszenierung gewinnt Spannung, weil er die Kontroversen über Standpunkte, die sich gegenseitig ausschließen, in aller Schärfe austragen lässt. Konventionelles Theater, aber im Funkeln der substantiellen Dialoge gut!
Dabei kann sich Waller auf ein relativ starkes, wenn auch nicht einheitlich spielendes Ensemble stützen. Rosalie Thomass als Naive bleibt zu blass, obwohl sie starke provozierende Texte hat; ihre junge, dem rechten politischen Flügel zuneigende Amerikanerin spricht sich für die Rolle der Hausfrau und Mutter aus – unpolitisch, scheinbar! Sie beharrt auf der Frage: Was können wir schon tun? Überragend spielt Leslie Malton Sarah. Die arrivierte Fotojournalistin und Kriegsberichterstatterin durchlebt ein Fegefeuer der Selbstzweifel: „Ich lebe vom Leiden Fremder. Ich habe meine Karriere auf den Qualen von Menschen aufgebaut ….“. Trotzdem bleibt Sarah ihrem Beruf treu. Geheilt, bricht sie zum Stückschluss wieder auf nach Afghanistan zu neuen Abenteuern, spektakulären Berichten, nie gesehenen Bildern des Grauens.
Die Fragen des Stücks bleiben dem Publikum, jeder kann das Für und Wider abwägen, ob er meint, Kriegsjournalismus könne etwas zum Besseren wenden; sich selbst fragen, woher das Faszinosum dieser Bilder kommt, ob wir, das Publikum, eine verbotene Lust genießen am Grauen. Ein bisschen ist es im St.-Pauli-Theater nach diesem gut gebauten, dialog-, figuren- und handlungsstarken Zweiakter, nach seiner sehenswerten Erstaufführung wie bei Bertolt Brecht: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.
■ Fr, 9. 12., 20 Uhr, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30; weitere Termine: 10. 12., 14. 12., 15. 12., 16. 12., 17. 12., 18. 12. und 19. 12.