: Hamburg, die Agendastadt
GREENWASHING Das Internationale Olympische Komitee macht neuerdings auf Öko. Und Hamburg sieht dadurch seine Bewerbungschancen steigen
VON MARCO CARINI
Kommt da zusammen, was zusammengehört? „Hamburg ist eine Stadt, die genau zur Agenda 2020 des Olympischen Komitees passt“, glaubt Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Und auch die Hamburger Verantwortlichen um Sportsenator Michael Neumann (SPD) jubelten, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) am 9. Dezember 2014 in Monaco die Agenda beschloss. Damit seien Hamburgs Chancen, im kommenden Jahrzehnt die Olympischen Spiele auszurichten, eindeutig gestiegen, lautete der Tenor.
Jahrzehntelang regierte der Gigantismus Olympia; nur Superlative zählten. Dem Höher-schneller-Weiter in den Stadien und Arenen entsprach ein Größer-glamouröser-Teurer in der Organisation der Spiele. Die Stadt, die nicht eine weit bombastischere Inszenierung glaubhaft in Aussicht stellen konnte als alles bislang Dagewesene, hatte als Bewerber keine Chance.
Die Kollateralschäden des Olympiawahns sind bekannt: Billiglohn-Arbeitssklaven in der Bauphase, zerstörte Naturareale, erst plattgewalzte und später neu erschaffene Stadtviertel – samt aller Gentrifizierungsfolgen von Massenvertreibung bis Mietenwahn; verwaiste Sportruinen ohne nacholympische Nutzung und hoch verschuldete Ausrichterstädte, all das blieb mehr als einmal von Olympia übrig. Als bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung gelten die 50 Milliarden teuren Retorten-Spiele im russischen Sotschi 2014, die durch massive Menschenrechtsverletzungen und schwere Umweltschäden Negativ-Schlagzeilen machten.
Der Imageschaden solcher Berichte für Olympia ist gewaltig: Allein in der Bewerbungsphase für die Winterspiele 2022 führten Bürger- oder Parlamentsentscheide in gleich fünf Ländern dazu, bereits auf den Weg gebrachte Bewerbungen zurückzuziehen. Neben Oslo, Krakau, Stockholm und Graubünden war auch München betroffen. Niemand wollte die Spiele.
Da auch die Funktionäre des IOC nicht immun gegen Kritik und den Zeitgeist sind, dachten sie um. Unter Führung des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach brachten sie ihren Gesinnungswandel zu Papier und nannten es „Agenda 2020“. Die Agenda liest sich, als hätten nur altgediente Mitglieder der grünen Partei an ihr mitwirken dürfen: Sie wimmelt von Vokabeln wie Nachhaltigkeit und Transparenz; Begriffen also, die schon so zerkaut sind, dass sie eigentlich auf den Index gehören.
Im Kern geht es in dem Reformpapier darum, die Olympiabewerber zu motivieren, bescheidenere und kostengünstigere Konzepte vorzulegen, bereits vorhandene Sportstätten stärker zu nutzen und die Spiele wieder näher an Mensch und Natur, aber auch an die Region anzubinden, in der sie stattfinden.
Die Olympischen Spiele sollen sich in Zukunft stärker an die Gastgeberstadt an- und in sie einpassen, sie sollen längst geplante städtebauliche Entwicklungen befördern statt sie zu behindern. Die die bislang streng geheimen Ausrichterverträge zwischen dem IOC und der Gastgeberstadt – einst ein Sammelsurium von Knebelparagrafen – sollen künftig veröffentlicht und breit diskutiert werden.
Wichtiger Bestandteil der Agenda ist das Konzept der „Second Cities“, also der Metropolen aus der zweiten Reihe. Sie sollen in Zukunft stärker bei der Vergabe der Olympischen Spiele berücksichtigt werden. Nicht Rom, sondern Mailand, nicht Paris, sondern Marseille, nicht New York, sondern Boston und eben nicht Berlin, sondern Hamburg haben danach die besten Bewerbungschancen. Zudem erleichtern die neuen Olympia-Richtlinien des IOC „die Austragung ganzer Sportarten oder einzelner Disziplinen außerhalb der Gastgeber-Stadt“ – eine Regel, von der Hamburg eifrig Gebrauch machen will. Überhaupt glaubt man in der Hansestadt zu erkennen, dass das späte Greenwashing der olympischen Idee der Stadt auf den Leib geschnitten ist.
Dass Hamburg so tut, als sei die Agenda 2020 für die Stadt wie geschaffen, ist kluge Taktik. Clever deutete der SPD-Senat die Olympiabewerbung zum Stadtentwicklungsprojekt um: Mit Olympia werde Hamburg brachliegende Potenziale entwickeln und endlich den Sprung über die Elbe schaffen, der schon mit der Entwicklung der Hafencity und den diversen Versuchen, Wilhelmsburg zu vitalisieren, angepeilt worden war. Dass man nun sogar Grüne mit in der Regierung hat, die ein – wenn auch an Bedingungen geknüpftes – Ja zu Olympia in Hamburg abgeben, adelt die Hamburger Bewerbung zusätzlich.
Die Reformagenda 2020 muss nun mit Leben gefüllt werden, soll sie kein Rohrkrepierer werden. Und Hamburg muss seine Nachhaltigkeitsansprüche in seinem endgültigen Bewerbungskonzept schlüssig belegen. Dann – und nur dann – könnte zusammenkommen, was zusammengehört.