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Archiv-Artikel

Kommt eine Frau zum Arzt

KAMMERSPIEL In „Krebs ist auch keine Lösung“ geben Lisa Politt und Tommaso Cacciapuoti ein Paar, das versuchen muss, sich auf eine Krebsdiagnose vorzubereiten

Bitter, auch zynisch ist der Abend. Aber immer wieder stemmen sich beide mit Humor gegen die Angst

VON ROBERT MATTHIES

Es dauert eine Weile, bis er wirklich begreifen kann, was sie ihm sagen will, als sie nach Hause kommt. Ohne Unterlass redet er in sein Handy, über Wachstumsmärkte und Investitionsmöglichkeiten, voller Tatendrang und mit einer Pose, als liege ihm die Welt zu Füßen. Wie jeden Abend. Aber dieser Feierabend ist anders, verändert alles: Vielleicht beginnt heute ihr Lebensabend, ganz plötzlich und viel zu früh. „Ich war beim Arzt“, sagt sie. „Was ist, wenn ich Krebs habe?“ Aber er hat ihr gar nicht zugehört: „Sehr gut! Ist etwas Wichtiges passiert?“

Nein, so geht es nicht. Also noch mal von vorn: Diesmal kommt er herein. Wieder sagt sie: „Ich habe Krebs.“ – „Nein, Krebs“, antwortet er nun, „da pult man immer nur und ist am Ende nicht satt. Keine Krustentiere, ich hole uns lieber schnell Forellen.“ Nein, so geht es auch nicht. Gar nichts geht mehr.

„Krebs ist auch keine Lösung“ heißt das Stück, in dem die Kabarettistin Lisa Politt und der Schauspieler Tommaso Cacciapuoti ein junges Paar mimen, das im Angesicht des drohenden Befunds: Brustkrebs beschließt, in einer Nacht durchzuspielen, was alles passieren könnte.

Um vorbereitet zu sein: „Wir behalten einen klaren Kopf!“, rufen sie sich immer wieder zu. Er, der Finanzjongleur, der sich für so abgeklärt hält, aber eigentlich längst bankrott ist. Und sie, die Journalistin, die sich so aufgeklärt findet, aber längst nur noch für eine Frauenzeitschrift unkritisch-schmierige Texte über das neueste Trendgetränk der Reichen und Schönen verfasst.

Aber sich nicht verrückt zu machen, hoffnungslos zu verzweifeln, sich in Selbstmitleid und ohnmächtigem Zorn zu verlieren: dass das angesichts einer so schwerwiegenden Diagnose alles andere als leicht fällt, das wird an diesem Abend auf bedrückende Weise deutlich.

Kein politisches Kabarett, wie man es von Lisa Politt und ihrem Kabarett- und Lebenspartner Gunter Schmidt als „Herrchens Frauchen“ sonst gewohnt ist, ist die neue Eigenproduktion des Polittbüros. Sondern ein nachdenkliches Kammerspiel. Geschrieben hat es der Berliner Kabarettist und Autor Bov Bjerg, im Dialog mit Politt und Cacciapuoti, Gunter Schmidt und Regisseur Rolf Claussen.

Man spürt deutlich, dass die treffsicheren Dialoge Politt und Cacciapuoti auf den Leib geschrieben wurden. Erstaunlich intim ist ihr Zusammenspiel, präzise sind all die kleinen leisen Szenen aufeinander abgestimmt, in denen das Paar die Abgründe der eigenen Beziehung auslotet, die gescheiterte Karriere verantwortlich macht, einen angemessenen Umgang mit der Krankheit sucht.

Bitter, auch zynisch ist der Abend. Aber immer wieder stemmen sich die beiden mit Humor gegen die Angst davor, dass das gemeinsame Leben nach dem Befund aus den Fugen gerät. Versuchen, die Schatten, die plötzlich so ein anderes Licht auf alles werfen, mit einem Lachen zu verjagen. „Kommt eine Frau zum Arzt: Ich habe einen Knoten in der Brust. Darauf der Arzt: Wer macht denn sowas?“, zitiert Politt Kalauer. Aber gegen die alles überwuchernde Angst erweist sich auch der Humor als stumpfe Waffe, bleibt das Lachen im sprichwörtlichen Halse stecken. So einfach lässt sich der Krebs nicht weglachen.

Was also tun? Mit der Krankheit verhandeln und dem Krebs einen Tausch anbieten? Wenn ich selbst mein altes Leben beende und neu anfange, macht sie sich Hoffnungen: Vielleicht geht er einfach wieder? Wenn ich keine albernen Werbetexte mehr schreibe, sondern etwas, das wirklich etwas bedeutet?

Oder ist das Verhandeln, wie die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross herausgefunden haben will, doch nur die dritte von insgesamt fünf Phasen des Sterbens? Eine kurze trotzige Verschnaufpause, ein kleiner Hoffnungsschimmer, der sich an das Nicht-Wahrhaben-Wollen und den Zorn anschließt? Und doch wieder in Depression und die letzte Phase des Sterbens umschlägt – die Akzeptanz seiner Unausweichlichkeit?

Was ist mit Yoga? Liegt es am Prana-Mangel? Muss sie einfach nur einsehen, dass sie ihren kranken physischen Körper gar nicht braucht? Aber den hat sie eigentlich doch immer gern gehabt. Und er auch: Auch wenn die Brust weg ist, wird er sie lieben, versichert er. Liegt es dann am beschissenen krebserregenden Kapitalismus? Wird der Stein, den ich damals nicht geworfen habe, zum Stein in der Niere, zum Knoten in der Brust? Was, wenn sie ihn nun wirft?

Dann endlich das Telefonklingeln, vor dem beide sich so gefürchtet haben: Der Befund ist da. Wie er ausfällt, erfährt man als Zuschauer nicht mehr, rechnet ganz unwillkürlich mit dem Schlimmsten. Obwohl man damit, das weiß man nach diesem intensiven Abend, doch gar nicht rechnen kann. Am Ende bleibt nur eins: sich an die Hand zu nehmen und gemeinsam loszugehen.

■ Sa, 28. 3., 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45. Weitere Aufführungen: 29. 3., 31. 3.–6. 4., 17. + 18. 4., 30. 4.–3. 5.