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Archiv-Artikel

Das arme Federvieh

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Es weihnachtet. Statt Schnitzel essen wir Ente und Gans. Wenn es noch eine gibt

Als Maria und Joseph den neugeborenen Jesus glückselig betrachteten, kamen die Hirten, beugten ihr Haupt, der Esel und die Kuh waren über diese Geburt ganz aus dem Ställchen. Der Engelein Chor jubelte, alle Anwesenden sangen „Last Christmas“ von Wham!

Es herrschte beste bäuerliche Idylle, die jedes Jahr aufs Neue in klein wieder aufgebaut wird: die Krippe. Doch in all den Krippen fehlt eine Gruppe von Tieren, die wir sonst so zuverlässig in das bäuerliche Bild einordnen: das Federvieh. Haben die klugen Tiere, ahnend, was ihnen blüht, ihr Bündel gepackt und unternahmen einen letzten Ausreißversuch? Das Schlachten von allem, was irgendwie Federn am Leibe hat, erreicht dieser Tage seinen blutigen Höhepunkt.

Es ist Weihnachten.

Dazu gehört der Braten, nicht vom Schwein oder vom Reh, sondern Gans und Ente. Nicht nur Angela Merkel marschiert kurz vor dem Fest in ihren bevorzugten Supermarkt, um an der Fleischtheke eine Gans zu besorgen (vgl. taz vom 22. Mai), nein, das ganze Land nimmt diesen Gang. Tiefgefroren oder frisch verpackt, Rotkohl, Grünkohl und vor allem Klöße gehören noch dazu.

Nicht nur in den privaten Küchen werden die Öfen gefeuert. Auch Restaurants, die das Jahr über für Schnitzel bekannt sind, machen bei dieser großen Flugtiervernichtung mit. So beispielsweise das Engelbecken am Lietzensee in Charlottenburg. Hier entwickeln Menschen, die das ganze Jahr über eine Pekingente nur mit langer Gabel essen würden, plötzlich so einen geballten Appetit, dass man an einem Sonntagabend gegen neun froh und dankbar sein muss, die letzte halbe Ente zu ergattern.

Die Gans muss man eine Woche im Voraus bestellen. Dieser Genuss ist eben nichts für spontane Gemüter. Die Ente wird mit Rotkohl und Klößen serviert, auf einem langen Teller liegt nun das herrlich gebräunte Vieh vor einem. Die Haut lässt sich leicht abschälen, das Fleisch erzählt von der feinen Kochkunst im Engelbecken. Leider fällt ihm die Soße kreischend und salzig ins Wort. Kann es sein, dass in dieser angesehenen Adresse jemand zu tief in den Salztopf gegriffen hat? Kaum zu glauben, aber jedes Tröpfchen strapaziert den sonst so salzaffinen Gaumen. Am Ende steht die Reue, einem Reflex nachgegeben zu haben. Der Magen hängt so schwer im Leib, dass man bis nach Bethlehem laufen möchte. Doch das Gedächtnis trügt so oft, Schmerz vergisst man, Völle auch. Drum werden auch zur Saison 2008 wieder Gänse und Enten dran glauben.

Restaurant Engelbecken, Witzlebenstr. 31, 14057 Berlin, Tel.: 615 28 10. Mo.–Sa. 17–1 Uhr, So. und Feiertage 12–1 Uhr, alle Feiertage geöffnet, Heiligabend und Sylvester geschlossen. Halbe Brandenburger Landente 18 Euro

WEIHNACHTEN ohne Gans? Till Ehrlich über den Horror der Weihnachtsgans, die die Mutter von einem Bauern holte, der in Wirklichkeit kein Bauer war, sondern Chemiker. Am Samstag. Im taz.mag