Reisebericht Irland 2014: Stimmungen

In kurzen Texten hat Alea Rentmeister ihre Impressionen der Irland-Reise festgehalten.

Am Strand von Bray Bild: Alea Rentmeister

Bray

Es ist ein milder Abend in Bray, einem Küstenort im Süden Dublins. Ein richtiger Sommerabend – für irische Verhältnisse. Draußen laufen die Leute über den Rummel und im Hotel spielen sie traditionelle Musik. Neun Tage voller Irland liegen vor uns, noch taufrisch und unberührt.

Newgrange

Die Grashalme, die die hellen Steine von Newgrange bedecken, wehen leise im Wind. Blauer Himmel mit weißen Wolkenfetzen,  die Sonne wärmt den Nacken. Wir stehen inmitten Irlands grüner Weite, vor einem 5200 Jahre alten Monument. John, unser Guide, hat eine witzige Art  uns über Newgrange zu informieren, man lernt und muss dennoch ständig schmunzeln. Er führt uns in die Tiefe des Hügelbaus. Es geht durch einen schmalen Gang aus unebenen, uralten Steinen, der sich irgendwann in einen relativ kleinen Raum öffnet. John schaltet das Licht aus, plötzlich ist es völlig schwarz.

Auf dem Boden erscheint ein schmaler langer Lichtstreif, eine Imitation des Sonnenlichts am 21. Dezember. Die Gänge verlaufen wie ein Kreuz. Sowohl auf den Steinen am Eingang, als auch auf jenen in den höhlenartigen Ausbuchtungen im Innenraum, befinden sich Spiralen, Dreiecke und Rauten. Über die Bedeutung der Symbole ist man sich bis heute nicht einig, Spekulationen gibt es viele. Es hat etwas Unfassbares, Newgrange ist älter als die ägyptischen Pyramiden. Wenn ich die steinerne, über 5.000 Jahre alte Decke über mir sehe, die nur durch die Kombination der Steine und das Gewicht, das von den Seiten auf sie drückt, gehalten wird, läuft mir ein kleiner Schauer über den Rücken.

Blumen und Steine Bild: Sabine Wolf/Frank Arnold

Crumlin Jail, Belfast

Der Tour-Guide und die Türen der Gefängniszellen haben exakt dieselbe Höhe. Wer größer ist, muss auf seinen Kopf Acht geben. Wir bekommen eine Führung  durch das mittlerweile geschlossene Gefängnis, sehen Zellen, den Verwaltungstrakt und einen Tunnel, durch den Gefangene vom Gericht bis ins Gefängnis geschleust wurden. Wir erfahren mehr über die Menschen, die hier inhaftiert waren. Darunter: politische Gefangene und sogar Suffragetten. Das Gefängnis teilt sich in vier Flügel. Im Hof wurden hingerichtete Gefangene begraben. Nicht in Gräbern, sondern einfach unter der Rasenfläche, ohne Zuordnung des Namens, das gehörte zur Strafe. Bis heute bleibt es rätselhaft, von wem die eingeritzten Namen auf einigen Steinen stammen.

Stormont Parliament, Belfast

Anne-Mary führt uns durch das Gebäude des nordirischen Parlaments und gibt uns einen Crashkurs in nordirischer Politik. Wir treffen Steven Agnew, den einzigen Grünen in Stormont. Zur Politik, so Agnew, kam er durch seine Abneigung gegen den von Großbritannien geführten Irakkrieg. Er sei weder Nationalist noch Unionist, sei jedoch mit unionistischem Hintergrund aufgewachsen. Dennoch befindet er sich bei Abstimmungen oft in Linie mit den Nationalisten. Seine Begründung: die Nationalisten seien eher links, die Unionisten eher rechts orientiert. Er selbst sieht aber nicht als Republikaner, sondern als „Sozialist und Vegetarier“.

Stormont Parlament Bild: Gaeltacht

Convay Mill, Belfast

In der Convay Mill scheint noch immer ein leichter Geruch von Farbe in der Luft zu hängen. Früher war sie eine Leinenfabrik, heute ist sie ein Zentrum für Erwachsenenbildung.  Claire und Brenda, die beide in Vollzeit hier arbeiten, stellen uns das Konzept und einige Angebote der Einrichtung vor. Hausaufgabenbetreuung für 7 bis 12-jährige, ein Programm, das jungen Frauen den Einstieg ins Berufsleben erleichtern soll und verschiedenste Kurse.  Die Convay Mill liegt in einem katholischen Viertel, laut der „open door policy“ des Zentrums ist hier aber jeder willkommen.

Wir bekommen die Möglichkeit, einen Blick in Danny Devenny’s Atelier zu werfen. Devenny ist einer der bekanntesten Mural-Künstler der republikanischen Seite. Murals  – das sind für Belfast typische, politische Wandgemälde.  Auf den Tischplatten in der Mitte des Raumes liegen Entwürfe, Notizen und Vorlagefolien mit Fotos von Politikern. Devenny trägt Shirt und Shorts, ist braungebrannt und hat volles graues Haar. An seinen Beinen kleine weiße Farbkleckse, hinter ihm ein fast fertiges Wandgemälde.  Er fing im Gefängnis mit den Murals an, erzählt Devenny, die Presse berichtete seiner Meinung nach zu wenig über die republikanische Sichtweise auf den Konflikt. Die Murals sollten für mehr mediale Aufmerksamkeit sorgen. „Man muss zurückschauen, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.“

Mural-Tour, Belfast

Die Arbeiterviertel sehen teilweise ganz schön abgewrackt aus, an den Backsteinfassaden wehen Fahnen. Umrankt von metallenen Zäunen sehen die Vorgärten für mich aus wie kleine Käfige. Käfige, die dem Selbstschutz dienen.  Immer noch ziehen sich Mauern durch diese Stadt und spalten sie, zwischen Unionisten und Nationalisten. In einiger Entfernung steigt grau-schwarzer Rauch zwischen den Häusern auf. Nachwirkungen der von Protestanten im Juli entzündeten Feuern, mit denen sie ihrem Oranierkönig „King Billy“ gedenken.  Ich fühle mich merkwürdig. Wie absurd, mit der Kamera herumzulaufen und die Wandgemälde zu fotografieren, als ginge es um längst Vergangenes.  Denn das hier ist jetzt, es ist echt.  Verdammt echt.  Mauern. Zäune. Flaggen.  Und schwarzer Rauch.

Mural in Belfast Bild: Alea Rentmeister

Crown Bar, Belfast

Es dauert eine Weile, bis wir bestellen können, denn es drängt sich am Tresen der berühmten „Crown Bar“. Guinness oder doch lieber Whiskey? Von der Mitte des Raumes gehen kleine Holzkabinen ab, in denen die Gäste sitzen, in einer davon unsere Reisegruppe. Wir quetschen uns die hölzerne Rundbank entlang und saugen ein bisschen Pub-Atmosphäre ein. Ralf verschwindet für eine Zigarette. Das erinnert mich an den ersten Abend in Bray, an Ralfs Frage danach, ob ich rauche. Und an diese unnachahmlich enttäuschte Miene über mein Bekenntnis zum Nichtraucher-Dasein. „Du trinkst aber schon?“, fragte er nur noch besorgt.

Bücherei in Armagh

Tommy McKearny war Mitglied der IRA, der irischen republikanischen Armee. Er war in den 1980er Jahren am Hungerstreik beteiligt, saß lange im Gefängnis. Heute ist er Journalist, der Aufklärungsarbeit zum nordirischen Konflikt leistet. Er erzählt von persönlichen Erfahrungen, rollt die Geschichte des Konfliktes von Anfang an auf. Dabei wirkt er ruhig und besonnen und man merkt, was für ein enormes Wissen er angesammelt hat über den Konflikt, über den er mittlerweile auch Bücher schreibt und wie genau er die Problematiken kennt.

Sligo

Abends kommen wir in Sligo an. Ein sehnsüchtiger Blick auf das blaugraue Meer. Durch die sanfte hügelige Landschaft von Sligo kommen wir zum Coleman Center. Sieben Musiker spielen heute Abend  traditionelle irische Musik für uns. Ich könnte ihnen stundenlang zu hören. Die irische Musik hat diesen Fluss von Lebendigkeit und Lebensfreude. Und ruhige Balladen. Schließlich bekommen wir selbst Bodhran-Trommeln in die Hand gedrückt, unter Anleitung der Musiker spielen wir einfache Rhythmen mit.  Musik ist hier nichts, was man sich nur anschaut, sie lebt und wird gelebt. Ich habe das Gefühl, es gibt keine scharfe Trennung von Performer und Publikum, Musik verbindet Menschen.

Sligo an der Atlantikküste Bild: Alea Rentmeister

Am Morgen werde ich werde vom sanften Rauschen des Atlantiks geweckt. Fast. Es ist nicht das Rauschen vor dem Fenster, das mich weckt, sondern das schrille Piepsen des Weckers. Aber durch das gekippte Fenster strömt salzige Luft, sie kitzelt meine Nase. Wir wohnen wie in einer Postkarte: Das Bed&Breakfast hat blaugestrichenen Türen, davor zwei schlafenden Hunde.

Knock

Kurzer Zwischenstopp in Knock, ein Wallfahrtsort mit riesiger Kathedrale und eigenem Flughafen. Das heilige Wasser kommt hier literweise aus speziellen Wasserhähnen. Endlose Souvenirshops, in denen man neben allerlei Krimskrams auch kleine Plastikflaschen mit Heiligenfiguren kaufen kann. Irgendwo muss man ja hin mit all dem heiligen Wasser.

Galway

Die charmante Stadt an der Westküste  ist vollgestopft an diesem sonnigen Tag. Die Straße, die vom Eyre Square zum Meer führt und mit Shops und Cafés gepflastert ist, blubbert vor Menschen. Wir streifen durch die Straßen, vorbei an Straßenkünstlern und Musikern, bummeln durch einige Geschäfte. Fast überall gibt es die aus einem Dorf in der Nähe von Galway stammenden Claddagh Ringe:  Sie zeigen ein Herz, gehalten von zwei Händen und versehen mit einer Krone, symbolisch für Liebe, Freundschaft und Loyalität. Hinter der St. Nicholas Church findet ein kleiner, bunter Markt statt. Wir setzten uns mit Kuchen und Tee vor ein Café und lassen die bunte Kulisse an uns vorbeiziehen.

Straßenszene in Galway Bild: Alea Rentmeister

Fanore

Die Abendsonne taucht die grau-grüne Landschaft um Fanore in einen surrealen Fleckenteppich aus Licht und Schatten. Schwüle liegt in der Luft, als gäbe es bald Gewitter. Die Einfahrt unseres Bed&Breakfast ist mit Blumen gesäumt. Drinnen fühlt man sich ein bisschen, als wäre man bei irischen Freunden zuhause.  Abendessen im Pub, dazu ein milchiger Sonnenuntergang.

Cliffs of Moher

Der Pfad steigt langsam, aber kontinuierlich an.  Schließlich weitet sich der Blick und endlich sehen wir sie. Majestätisch stürzen sie ins Meer, die Klippen von Moher. Zwischen Ruinenresten steht ein junger, verschüchterter Fuchs, schnell von Touristen umringt.

Cliffs of Moher - mit Fuchs Bild: Alea Rentmeister

Fanore

Als wir abends an Ralfs Haus ankommen, ist er gerade dabei, ein Pferd mit einer Möhre zu füttern.  Er und seine Frau Áine haben die Reisegruppe zu sich zum Essen eingeladen. Unglaublich, wie viel Mühe sich die beiden gegeben haben: Ralf höchstpersönlich nimmt  in taz-Schürze unsere Getränkewünsche entgegen und bringt das Essen, es gibt drei verschiedene Haupt-und Nachspeisen, eine so liebevoll zubereitet wie die andere.

Nachdem Essen sitzen wir gemeinsam im Wohnzimmer, Áine spricht über das irische Schulsystem. Sie hat eine sehr angenehme Art zu erzählen. Überhaupt ist es eine angenehme Atmosphäre, mit all diesen Menschen hier zu sitzen, die man in den letzten Tagen kennen hat. Man teilt die wunderbaren Reisemomente, man kann sich austauschen.

Doolin

Es ist schon lange dunkel, als wir das urige Pub McGanns betreten. Doolin ist bekannt für traditionelle irische Musik.  Mit Whisky,  Bier oder Cidre setzten wir uns an die Holztische, im Nebenraum Musik, die Wände voll mit Bildern.  Unter Gesang und Instrumente mischen sich Stimmengemurmel und Lachen.

West-Ost-Durchquerung

Wir sind auf dem Weg zurück nach Dublin. Vor der Küste von Fanore schwimmen Delfine. Ihre glänzenden, grauen Körper tauchen kurz in der Ferne auf,  um dann sofort wieder im Wasser zu verschwinden. Üppige grüne Wiesen mit Schafen und Kühen rauschen am Busfenster vorbei.

Die junge Museumsführerin in Killybeggans Whiskeybrennerei spricht fließend Deutsch. Wir lernen, wie aus Getreide und Flusswasser Whiskey entsteht und dürfen selbst probieren. Dann steigt, so Ralf,  „die ganze versoffene Bagage“ wieder in den Bus.

Whiskey-Brennerei Bild: Sabine Wolf/Frank Arnold

Bray

Immer noch herrscht der Rummel in Bray. Eine Woche ist vergangen seit unserem ersten Abend hier. Bunte Stände, vollgestopft mit Aufblasfiguren, reihen sich die Strandpromenade entlang. Im Meer schwimmen badebehoste Leute, andere halten sich Miniventilatoren ins Gesicht. Irgendwie stören sie meine irische Kiesstrandidylle.

Dublin

Es summt in der Innenstadt an diesem milden Freitagabend. Es summt vor Menschen, die durch die Straßen stromern. Wir machen bei einer literarischen Kneipentour mit. Man macht uns mit Pubs und Schriftstellern vertraut, immer mit Dubliner Akzent und mit einem Zwinkern.

Bray

Angus spricht perfektes Deutsch und berlinert sogar ein bisschen. Seine Muttersprache ist Gälisch, aber er spricht auch perfektes Englisch. In vielen Lebensbereichen kommt man nur mit Englisch zum Erfolg, auch wenn der Staat die irische Sprache unterstützt, erklärt er uns. Das wirtschaftliche Überleben sei allein mit Irisch nicht möglich. Er liest uns ein Gedicht auf Irisch vor.

Unsere Reise ist hier zu Ende. Wir sind erschöpft. So viele Eindrücke, Ideen, Inspiration und Input. Diese Reise war so dicht, so abwechslungsreich. An unserem letzten Abend sitzen wir  zusammen in der Hotelbar. Drinnen spielt Musik und irgendwo da draußen blubbert das Meer. Oh, geliebtes grünes Land.

Grünes Irland Bild: Sabine Wolf/Frank Arnold