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Radikal verboten

■ Der Generalbundesanwalt inszeniert einen neuen Zensurversuch des Internet

Zu den treusten Lesern der Zeitschrift radikal gehört seit vielen Jahren der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Seit er die neuste Nummer durchgesehen hat, ist mal wieder Gefahr in Verzug bei linken Buchläden und Wohngemeinschaften, zum ersten Mal aber auch bei Internetprovidern. Denn die radikal ist seit mehren Monaten unter der Adresse http:// www.xs4all.nl/~tank/radikal/ abrufbar. In voller Länge, was das Lesevergnügen nicht unbedingt erhöht, aber die Bundesermittler zu einem Vorstoß in ganz ungewohntes Gebiet reizte. Sie haben seither allen Ernstes vor, das Informationsnetz zu stören, das einst vom Pentagon aufgebaut wurde. Es ist ihnen bereits gelungen, den zweiten deutschen Fall von Internetzensur zu inszenieren. Erstmals fordert auch der Generalbundesanwalt deutsche Internetprovider unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen dazu auf, den Zugang zu Dokumenten zu sperren, die im Internet frei verfügbar sind.

Weltweite Beachtung ist ihm deshalb sicher, die ebenso globale Blamage allerdings ist auch schon absehbar. Die radikal ist inzwischen auf über zwanzig anderen Rechnern abrufbar, deren Betreiber sie aus Protest übernommen haben. Geradezu triumphiernd verkündet Felipe Rodriguez, Webmaster des niederländischen Servers, auf der Homepage: „Deutschland zensiert xs4all!“

Der Name ist als „Zugang für alle“ leicht zu entziffern, und in diesem Sinne hat eine niederländische Europaabgeordnete am Dienstag eine Anfrage an die EU- Kommission in Brüssel gerichtet. Die Politikerin möchte unter anderem die Frage geklärt haben, ob „die Blockade eines niederländischen Providers für deutsche Kunden, daher von Dienstleistungen der niederländischen Industrie, eine Verletzung des Freihandelsabkommens im europäischen Binnenmarkt“ darstelle.

Bislang ist die Streitfrage jedoch von bloß theoretischem Interesse. Der Hausserver der radikal ist erreichbar geblieben, die Techniker unterlaufen jeden Blockadeversuch mit ständig wechselnden numerischen Internetadressen. Die Sperrung des Namens gleicht deshalb dem Wettrennen zwischen Hase und Igel: Wenn die richtige Zuordnung festgestellt ist, gilt sie schon nicht mehr.

Davon ließ sich der Generalbundesanwalt jedoch nicht beeindrucken. „Wir warten ab, was geschieht“, läßt sich der Sprecher vernehmen, weitere Schritte könnten der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben werden. Besonders ein Artikel in der neuen radikal unter der Überschrift „Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art“ hat den Diensteifer geweckt. Er enthält technische Ausführungen zum Signalsicherungssystem der Bundesbahn und daraus abgeleitete Schlußfolgerungen für Castor- Blockierer. Einer der wichtigsten Sätze lautet sinngemäß: Geräte, deren Funktion du nicht genau kennst, sind tabu.

Glücklich der Staat, dessen schärfste Gegener so behutsam zu Werke gehen! Doch der Generalbundesanwalt sah rot und leitete nach alter Gewohnheit Ermittlungen gegen die Produzenten und Verbreiter der Zeitschrift ein. Am 30. August erreichte ein Fax aus Karlsruhe aber auch die Kanzlei des Rechtsanwalts Michael Schneider in Hennef, Vorstandsmitglied des Provider-Interessenverbandes „eco“ und Mitinitiator der sogenannten Internet Content Task Force, die sich zum Ziel gesetzt hat, private Provider vor der strafbaren Verbreitung strafbarer Inhalte zu bewahren.

Schneider hat Auszüge dieses Schreibens auf seiner eigenen Webseite veröffentlicht (http:// www.anwalt.de/ictf/index.htm). Die entscheidenden Sätze lauten: „Unter folgenden Adressen im Internet: http://www.serve.com/ spg/154/, http://www.xs4all.nl/tank/ radikal//154/ sowie unter Benutzung des Links auf der Seite http:// ourworld.compuserve.com/home pages/angela1/radilink.htm, ist die Gesamtausgabe der Druckschrift ,radikal Nr. 154‘ abrufbar. Teile des Inhalts dieser Druckschrift begründen den Anfangsverdacht eines nach § 129a Abs.3 StGB strafbaren Werbens für eine terroristische Vereinigung, einer nach § 140 Nr.2 StGB strafbaren öffentlichen Billigung von Straftaten sowie den Anfangsverdacht eines Vergehens der Anleitung zu Straftaten gemäß § 130a Abs.1 StGB. Der Generalbundesanwalt hat daher ein Ermittlungsverfahren gegen die Verbreiter dieser Druckschrift eingeleitet. Sie werden darauf hingewiesen, daß Sie sich möglicherweise einer Beihilfe zu diesen Straftaten strafbar machen, soweit Sie auch weiterhin den Abruf dieser Seiten über Ihre Zugangs- und Netzknoten ermöglichen sollten.“

Ähnlich lautende Schreiben sind inzwischen auch bei der Deutschen Telekom, ebenso bei den privaten Onlinediensten CompuServe und AOL eingegangen. Die Telekom ist noch dabei, eine Stellungnahme auszuarbeiten. An Erfahrungen auf diesem Gebiet fehlt es den Großen der Branche keineswegs. T-Online und AOL hatten auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Mannheim die Seiten des Neonazis Zündel gesperrt, CompuServe hatte einen Proteststurm ausgelöst mit seiner von Münchner Staatsanwälten empfohlenen Sperrung sämtlicher Newsgroups, die sich mit sexuellen Themen beschäftigen. Doch diesmal können Kunden der Telekom ungehindert auf die inkriminierten Adressen zugreifen. Auch von CompuServe oder AOL sind keine Behinderungen bekanntgeworden – die Vorreiterrolle fiel Rechtsanwalt Schneider und seiner Internet Content Task Force zu.

Ein Mann guten Willens, der hinter dem Schreiben aus Karlsruhe vor allem schiere Ahnungslosigkeit in Fragen der Netztechnik erkennt. Mit großer Geduld versuchte er seinen Kollegen das Abc der Internetlogik vorzubuchstabieren. In seinen Antwortschreiben ist weniger von Paragraphen als von „Domain-Name-Servern“, „IP-Paketen“ und „Routern“ die Rede. Doch als Anwalt war Schneider in eine Zwickmühle geraten. Die Androhung des Beihilfevorwurfs wollte er nicht ignorieren und empfahl daher den Mitgliedern des eco-Verbandes, die genannten Adressen zu sperren – mit Ausnahme der CompuServe- Homepage der PDS-Vorständlerin Angela Marquardt. Selbst in Karlsruhe sah man ein, daß dafür nicht die geringste Möglichkeit besteht.

Einige eco-Mitglieder folgten dem Rat sofort, andere erst später – die radikal war längst auf Spiegelserver ausgewichen. Der Vorwurf der Zensur trifft sie alle an ihrer empfindlichsten Stelle, denn sie konnten bisher den unverfälschten, unzensierten Zugang zum Internet als Argument gegen die Branchenriesen ins Feld führen. Nun droht ihnen Schimpf und Schande. Schon die Ankündigung der Internet Content Task Force hatte Empörung unter den Netzpionieren ausgelöst. Lediglich das Argument sorgte für eine gewisse Nachdenklichkeit, daß Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von Rechnern gerade jene Firmen ins Mark treffen würden, die mit geringem Startkapital, aber leistungsfähigen Netzanschlüssen ihren Platz auf dem Markt behaupten. Offiziell hat die Hauspolizei ihre Arbeit noch nicht aufgenommen. Der Medienrat, der ihr nach den Vorstellungen des Interessenverbandes eco zur Seite stehen soll, trifft sich erst Ende dieses Monats zu einer Vorberatung in Köln. Die Konferenz steht unter dem Titel „Ein dritter Weg zwischen Anarchie und Polizeistaat: Sozialverträgliche Integration der Online- Medien in unsere Gesellschaft“. Wohl auch nicht ganz das, was der Generalbundesanwalt im Internet sucht. Niklaus Hablützel

(niklaus@taz.de)

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