: Vielleicht die einzige Band, die du brauchst
■ Motorpsycho wird immer besser. Jetzt traten die Trondheimer im Schlachthof auf
Jedes Jahr wird es ein bisschen mehr. Mehr Leute, die sich Platten von Motorpsycho kaufen, die auf Motorpsycho-Konzerte gehen und sich dort rückhaltlos über eine Musik, eine Show, eine Band begeis-tern, die in der Tat – zumindest gegenwärtig – ohne Parallele dasteht.
Vor zehn Jahren, ganz am Anfang waren Motorpsycho noch eine krachige Band, die das spielte, was Grunge und später Alternative Rock hieß. Einerseits sind sie heute kaum noch wiederzuerkennen. Andererseits sind sie immer noch mit dem gleichen Geist am Werk, derselben Attitüde und Methode. Die drei Männer aus Trondheim in Norwegen, die den stabilen Kern Motorpsychos bilden, sind nämlich interessiert an Musik. Sie sind inte-ressiert an den verschiedenen Formen, die sie annehmen kann, den Mitteln, eine weniger eindeutig definierbare als vielmehr deutlich spürbare Intensität zu erreichen. So wühlten sie sich immer tiefer in die Musik der Gegenwart und der Vergangenheit und wurden dabei immer mehr zu einer Rockband, wie es sie schon lange nicht mehr gab.
Led Zeppelin ist ein Name, der immer häufiger in Texten zu Motorpsycho zu lesen war. Ausladende Formen, Doppel- – was sag ich – Triple-Alben, ein musikalischer Reichtum, von schlichten Drei-Ackord-Songs bis hin zu zehnminütigen Abfahrten, vorbei an einem Country-Song oder einer eigenartigen Adaption von meinetwegen Reggae. Es wachsen viele seltene Blüten am Wegesrand. Motorpsycho pflücken sie. „Was hineingeht, muss auch irgendwann wieder herauskommen“, sagen sie und meinen damit, dass all die Musik, die sie so in ihrem Leben hören – und das ist eine Menge – auch irgendwann ihren Niederschlag in den eigenen Songs haben wird.
Das macht auch Konzerte, wie das vom Freitag in der ausverkauften Schlachthof-Kesselhalle, so aufregend. Hier war nicht nur zu hören, wie Motorpsycho die Beach-Boys- und Beatles-Anwandlungen ihres letzten Albums „Let Them Eat Cake“ (Stickman/Indigo) auf die Bühne bringen, sondern wie ganz allmählich auch Jazz-Vibes Eingang in ihren Sound finden, ein kleines Miles-Davis-Zitat hier, eine kurze polyrhythmische Improvisation da. Und natürlich auch wieder ewig schwellende Psychedelik und harter Rock. So. „Black To Comm“ von MC5 mit eingebauter Stooges-Umleitung, ein Song von The Who, ein paar Takte „Voodoo Chile“. Und am Ende natürlich „Vortex Surfer“, so etwas wie das „Stairway To Heaven“ oder „Free Bird“ dieser Band, notorisches, unwidersprechliches Ende mittlerweile annähernd jeder Show. Das große Gefühl, der befreiende Schrei. Ganz einfach und unironisch, weil es nun mal einfach geil ist!
Diese verschiedenen Ansätze – Improvisation und Komposition, Geräusch und Konstruktion, Klarheit und unauffällige Komplexität – werden da auf einer Bühne innerhalb runder zwei Stunden so lässig exorziert, so schlackenlos miteinander kombiniert, kontrastiert und vermischt, dass es nirgendwo einen Bruch gibt. Sie beherrschen die Sprache des Rock nicht nur akzentfrei, sie sprechen sie auch in allen Tonlagen, nicht als Parodie oder Travestie, sondern wählen die Tonlage mit traumwandlerischer Sicherheit gemäß dem, was sie nun mal sagen wollen – und wenn es vordergründig auch nur davon handelt, nach Kalifornien zu gehen, wo der Himmel blau ist. Noch so etwas Besonderes an dieser Band.
Gerade ist ihr neues Album zwei Monate alt, da spielen sie auf den Konzerten mal eben neue Stücke wie eben „Goin' To California“, mit denen sie schon wieder ein paar Schritte weiter sind. Und außerdem kommen ja dieses Jahr noch zwei Platten von ihnen, und wenn du sie fragst, wie denn diese nachgerade irrwitzige Produktivität zustande kommt, dann sagen sie ganz unschuldig: „Naja, wir machen schließlich nichts anderes als Musik.“ Als ob das eine Erklärung wäre ... Andreas Schnell
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